Ralf Jarchow

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With a little help ...

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With a little help ... Stardust

Hören wir in einer lauten Welt auf die leisen und unverlorenen Menschen, die uns mit ihrer Kunst, ihren Worten, Taten, Gesten oder Zeichen die Sicht auf Gründe und Abgründe schenken, dann hören wir den Staub der Sterne ...

 

 

 

  • Lamartine Babo
    Tristeza und Alegria, vereint in einem der schönsten brasilianischen Lieder: Serra da Boa Esperança. Zum freudigen Weinen schön!

     

  • Lauren Bacall & Humphrey Bogart
    Es waren einmal ...

    ... 2 Film-Ikonen, die sich in ihrer wohl wichtigsten Rolle gegen das Komitee für unamerikanische Umtriebe und deren Kommunismus-Paranoia in der McCarthy-Ära einsetzten. Während etliche, auch bekannte Schauspieler andere vor diesem Komitee denunzierten, demonstrierte das Ehepaar Bacall & Bogart zusammen mit einigen Kollegen gegen diese Hetze, obwohl ihnen Berufsverbot drohte. Denn auch solche Namen mussten sich in Acht nehmen, wie Beispiele zeigten. Aber sie bewiesen Stärke, wo andere schwach waren. Und wie in einem Märchen, in dem am Ende der Bösewicht bestraft wird, wurde mit abnehmendem Rückhalt Joseph McCarthy schwach ... und sinnig ... und fiel und fiel und fiel ...

    ... und wenn er nicht gestorben wär, dann stürbe er noch heute.
    → auch Hoagy Carmichael

     

  • Johann Sebastian Bach
    Kann ein Mensch Werke wie den Eingangschor Herr, unser Herrscher der Johannes-Passion oder den Ausgangschor Wir setzen uns mit Tränen nieder der Matthäus-Passion ohne übernatürliche Hilfe schreiben? Und dann sind da noch die anderen über 1000 Werke ...

     

  • Samuel Barber
    I. Allegro: Ein durch die Stadt irrender und verstörter Mensch, der vor dem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Leben flieht, und es doch fassen will, ...
    II. Canzone: ... dem unerwartet eine kurze entspannende, doch lähmende Ruhe vergönnt wird ...
    III. Allegro: ... und nun nicht mehr vor seinem, sondern einem anderen Leben flieht, und es doch gleichzeitig wieder fassen will, weil er muss ... egal welches ...
          So ungefähr war der Film, der in meinem Kopf ablief als ich das Concerto for Piano and Orchestra (1962) das erste Mal gehört habe. So klar ist die Dynamik, Organik und der Spannungsbogen gezeichnet ... Eines der mitreißendsten Werke des 20. Jahrhunderts. 1963 erhielt Barber den Pulitzer Prize für diese Filmmusik.

     

  • Daniel Barenboim
    Equal in Music heißt es auf der Homepage des West-Eastern Divan Orchestra, das mit jungen israelischen, palästinensischen und anderen arabischen Musikern besetzt ist, und von Barenboim und dem Palästinenser Edward Said gegründet wurde. Ein unglaubliches Projekt! Jedenfalls war es im Januar 2015 das Einzige, was mir zu dem Anschlag auf Charlie Hebdo einfiel, als ich in einer Rundmail eigentlich nur auf eines meiner Konzerte hinweisen wollte:

      Die aktuellen Ereignisse in Paris, und der Versuch das Unfassbare zu fassen, die Sprache zu finden, wo keine Worte möglich scheinen, und schließlich der Versuchung von vorschnellen wie eindimensionalen Antworten zu widerstehen, treibt uns wohl alle in diesen Tagen um. Kann man da zur Tagesordnung übergehen? ... Nur schlecht, und wie weit, muss jeder für sich selber entscheiden.
      Könnte nicht Musik eine von vielen möglichen Antworten sein? Es gibt etliche Beispiele, eines ist
      Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra.
      Zum Glück haben Noten keine Hautfarbe, sind nicht religiös, haben keine nationalen, ethnischen oder sozialen Herkünfte ...

    Stell dir vor, es ist Krieg, und alle geh'n ins Konzert, ... und lauschen der Ermordung des Hasses!
    → auch
    Jimi Hendrix / Ismail Khatib

     

  • Beatles
    Hund oder Katze, Strauß oder Schmidt, Beatles oder Stones! Irgendwann musste sich jeder entscheiden und man konnte nicht beides mögen. Deshalb hatte ich mich für Katze, Schmidt und Stones entschieden. Denn bei den Stones gefiel mir fast jeder Song auf ihren Alben, bei den Beatles aber nicht. Mindestens die Hälfte der Stücke auf einer Platte fand ich doof, was sich bis heute nicht geändert hat. Als ich aber anfing meine Lieblingsstücke zusammenzustellen, fing ich an zu genießen: Yesterday – Norwegian wood – Michelle – Eleanor Rigby – Here, there and everywhere – Hey Jude – When I'm 64 – Penny Lane – The fool on the hill – Honey pie – Blackbird – The long and winding road und einige andere mehr. She's leaving home geht mir dabei besonders unter die Haut, und es ist für mich – nicht zuletzt durch Mike Leanders fabelhaftes Streicherarrangement – einer der größten Pop-Songs überhaupt.
          Wer das Phänomen Beatles zu erklären versucht, wird es nicht alleine musikwissenschaftlich oder mit einer Analyse des gesellschaftlichen Wandels der 1960er schaffen. Es war eher ein Riesenglück, dass sich 4 begabte Musiker getroffen haben, die sich gegenseitig zu einer unermesslichen Genialität inspirierten und steigerten. Dabei war keiner ein Meister auf seinem Instrument, auch wenn jeder es gut beherrschte. Als Band aber waren sie Meister und mit den Stones zusammen lange die wichtigste und einflussreichste Band ihrer Zeit. Manche "Beziehungen" wachsen eben nur in bestimmten Konstellationen, und so sollte es nicht wundern, dass nach dem Ende der Beatles zwar alle den einen oder anderen Hit hatten, sie jedoch die alte Größe – zu der natürlich auch ihr legendärer Produzent George Martin maßgeblich beigetragen hat – nie wieder erreichten. Viele ihrer Lieder aber sind zeitlos und bleiben unvergessen, und stehen auf der derselben Stufe mit den bedeutenden Werken klassischer Komponisten. Man muss sie einfach lieben, auch wenn man Stones-Fan ist ...
          Und außer den Beatles habe ich mittlerweile auch Hunde in mein Herz gelassen, nur Franz-Josef Strauß bleibt angeleint draußen ...

     

  • Humphrey Bogart & Lauren Bacall
    Lauren Bacall & Humphrey Bogart

     

  • Julian Bream
    Nie war Breams Spiel intensiver und mitreißender als in seiner Aufnahme der Bagatellen für Gitarre von William Walton von 1973. Und Bream spielt oft intensiv und mitreißend ...

     

  • Jane Brown Thompson
    Alles begann, als Hoagy Carmichael von einem Freund ein Gedicht aus der Zeitschrift Life mit den Initialen J.B. erhielt. 1938, etliche Jahre danach erinnerte er sich daran und vertonte es leicht verändert. Nun musste er aber den Urheber finden, um I get along without you very well zu veröffentlichen und startete einen kuriosen Aufruf, dass man Uncle Hoagy mitteilen möge, wer J.B. sein könnte. Nach vielen Monaten und Zufällen wurde von ehemaligen Life-Mitarbeitern – die Zeitschrift hatte vor einigen Jahren auch noch ihr Erscheinen eingestellt – die nun 71-jährige Jane Brown gefunden (Thompson ist der angeheiratete Name). Sie stimmte einer Veröffentlichung zu, und noch im selben Monat wurde der Song im Januar 1939 gesendet. Doch starb sie nur einen Tag bevor sie ihr vertontes Werk im Radio hören konnte ... eines der traurigsten Liebeslieder, die je geschrieben worden sind, von einer ansonsten unbekannten, aber doch alleine durch dieses Gedicht großen Autorin ...

          Nicht nur, dass der Song alleine schon traurig genug ist, irgendwie hat diese ganze Geschichte doch etwas von einem shakespearehaftem Drama. Besonders wenn man an die vielen anderen unbekannten Talente dieser Welt denkt, ganz zu schweigen von denen, die von ihrem Talent selber nichts wissen, oder die wie hier ihren eigenen Erfolg "verpassten". Geradezu zynisch wirkt da der Aphorismus Der Erfolg gibt (dir) Recht. Ich habe den Spruch sowieso nie gemocht und halte ihn auch schlicht für Blödsinn. Denn zu viele "Erfolgreiche" haben den Erfolg nicht verdient, und ebenso viele "Erfolglose" haben dennoch Recht! Halten wir es letztlich mit Petrus, der von Schustern und Generälen auch ein Lied singen kann (→ Susan Cain).
    → auch Carly Simon, 1981: Torch

     

  • Ken Burns
    Dass Dokumentationen spannender sein können als mancher Spielfilm, zeigen die etlichen Werke von Ken Burns. Meisterhaft versteht er es gründlich recherchierte Historie in Geschichten zu komponieren, denen er viel Raum durch meist mehrstündige Mehrteiler gibt. Ein roter Faden wird durch den Erzähler und ausgewählter Einzelschicksale gestrikt, der von Fakten und Momentaufnahmen bereichert wird. Auch durch die sorgfältig ausgewählte Musik, die in anderen Dokus oft die Qualität eines Rings aus dem Kaugummi-Automaten hat, erlebt man dieses Genre völlig neu. Und um nur einige zu nennen:

      The Civil War (1990; Der Amerikanische Bürgerkrieg)
      Jazz (2001)
      Mark Twain (2001)
      Unforgivable Blackness: The Rise and Fall of Jack Johnson (2005; Er wollte kein Sklave sein)
      The War (2006; Der Krieg)
      Prohibition (2011)
      Vietnam (2017)

    Schade, dass auch mein schulischer Geschichtsunterricht oft nur an den besagten Ring erinnert ...
    → auch Carly Simon, 1994: Baseball

     

  • John Cage
    4'33" (Four minutes, thirty-three seconds) ist das dämlichste und zugleich wichtigste Musikstück der Avantgarde. Als Komposition taugt es soviel wie Dada eben taugen kann. Als musikphilosophische Aussage jedoch, sagt kein anderes Werk soviel wie dieses. Cage selber wollte mit dem Stück 4'33" der Stille auf die zufälligen Geräusche aufmerksam machen, die man hören kann, wenn es keine komponierten Klänge oder Geräusche gibt. Etliche andere Interpretationen gibt es.
    Für mich ist es zum einen eine Sezierung der Musik in ihre Elemente: Die dunkle, nichthörbare Materie der Stille, die die atomare, hörbare Materie der Klänge benötigt, um wahrgenommen zu werden. Zum anderen, wer nichts zu sagen hat, sollte auch nichts sagen und nicht auch noch die Sicht auf das verstellen, was es wert ist zu sagen.
          Und wenn wir dieses "dämlichste aller Stücke" verstanden haben, würdigen wir dieses "Denk mal" der Stille, indem wir versuchen auf das zu hören, was wir ohne die Stille nicht hören würden ...

     

  • Susan Cain
    Ein Schuster klopft an die Himmelspforte und Petrus begrüßt ihn mit einem herzlichen Ah! Sie sind der größte General aller Zeiten.
    Nein, sagt er verwundert, ich bin nur Schuster.
    Ich weiß, sagt Petrus, aber Sie hätten der größte General aller Zeiten werden können.

    Diese Legende findet sich ähnlich in Susan Cains Buch Still, die hier das Augenmerk auf Kinder (Schuster) lenken will, deren unentdeckte Talente (General) oft verkümmern. Es ist eine von etlichen, pittoresken Geschichten, die Cain in ihrem überzeugenden und spannenden, wie auch wissenschaftlich fundierten Plädoyer für eine weit unterschätzte, weil eben nicht "laute" menschliche Eigenschaft aufführt: Die Introversion.
          Diejenigen, die selber an Introversion "erkrankt sind", mögen sich schon seit langem über die Diktatur des Gruppenwahns gewundert haben, und über die Pflege und Macht eines Konformismus, der eher an ein Regiment erinnert, das um einvernehmliche Verordnungen bemüht ist, als an kreativ und unabhängig denkenden Menschen, bei denen ohnehin der gewünschte Gruppenkonsens gefährdet ist. Dass dieser verordnete Konsens aber Kreativität und Innovation in der Arbeitswelt, und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg eher hemmt als fördert, zeigt Cain in etlichen Beispielen zu Themen aus Arbeit und Schule:

      Arbeit:
      Redefreudige (extrovertierte) Menschen hätten bessere Aufstiegschancen, weil sie klüger erscheinen, wogegen stille (introvertierte) eher leer ausgehen, obwohl sie oft kreativer sind.
            Auch die viel beschworene Teamwork steht in der Kritik: So rät u.a. Steve Wozniak, einer der Apple-Gründer und Computer-Pioniere dringend davon ab und favorisiert die Alleinarbeit, genau wie Albert Einstein, der gesteht, dass er nicht zur Teamarbeit tauge. An anderer Stelle heißt es über (die ohnehin bei jedermann unbeliebten) Konferenzen, dass sie Gift seien und Firmen verrückt wären, wenn sie Brainstorming in Gruppen zuließen, ja Gruppen sogar wie bewusstseinsverändernde Substanzen wirken. Dagegen nimmt sich die Erkenntnis, dass Großraumbüros krank machen und die Produktion vermindern fast harmlos aus. Denn hier realisierten manche Unternehmen schon von Anbeginn dieser Schnapsidee – die ja nicht nur die überbewertete Teamarbeit fördern sollte, sondern vor allem kostengünstiger war –, wie mehrbelastet die Arbeitnehmer waren, und zogen die eingerissenen Wände wieder hoch.
            Auch die gerade eben noch neue Errungenschaft der Menschheit – das Multitasking – erhöhe die Fehlerquote um bis zu 50%, womit bestätigt wird, was der cool- und clevergebliebene Mensch, der eben nicht gleich mit den Wölfen heult, sowieso immer schon wusste.

      Schule:
      Bei introvertierten Kindern sah man oft die Gefahr der Vereinsamung, der man vorbeugen müsse. So meinten jedenfalls viele Psychologen, Sozialarbeiter und Ärzte. Zur besseren Sozialisierung wurden die Kinder deshalb immer früher eingeschult, statt ihre vermeintlich einsamen Hobbys zu tolerieren und zu fördern. Dabei brauchen introvertierte Kinder anderen Unterricht wie extrovertierte und sollten eher in kleinen Gruppen unterrichtet werden. Sowieso ist der Gruppenunterricht nicht die beste, sondern die kostengünstigste Art zu lernen. Auch kann man auf Kinder eher eingehen um Tätigkeiten zu fördern bei denen sie aufblühen, wenn sie mit ihrer Persönlichkeit übereinstimmen. Andernfalls hören sie schnell auf zu lernen, wenn sie sich emotional bedroht fühlen. Und so müssen Kinder oft auf die Schule vorbereitet werden, anstatt sich von der Schule auf das Leben vorbereiten zu lassen.
            Zuletzt sei noch eine Studie erwähnt, die das Lernen wie die Arbeit gleichermaßen betrifft: Danach sehen Musiker das Alleine-Üben als wichtigste musikalische Aktivität und wirkliche Arbeit an, entgegen dem Vergnügen Ensemblespiel. ... Aber dieses Fass, woraus man die Wichtigkeit des an den Musikschulen fatalerweise immer weiter zurückgedrängten Einzelunterrichts auch ableiten könnte, mache ich hier aus Platzgründen nicht auf ...

    Ich könnte noch lange über dieses beeindruckende Buch schreiben. Zu groß ist die Übereinstimmung, zu lange gärten in mir – einem Introvertierten durch Gene und Überzeugung – dieselben Gedanken und Erfahrungen über die Irrlehren aus der Arbeits- und Schulwelt, die wir uns so lange ohne Gegenwehr haben überstülpen lassen. Hierzu nun Nein zu sagen, wird durch Susan Cain leichter!
          Und wenn wir es dann noch schaffen auf die Schuster und ihre unentdeckten Talente achtzugeben, dann ... ja dann ... ist es noch ein langer Weg, ... der mit der Lektüre dieses Buches jedoch beginnen kann ...
    → auch John Cage / John Locke

     

  • Hoagy Carmichael
    Auf einer Seite wie dieser darf natürlich Carmichaels Stardust (1927) nicht fehlen, das zum Jazz-Standard geworden ist und von vielen als schönstes Liebeslied bezeichnet wird, sowie der Klassiker Georgia on my mind, der noch bekannter wurde. Mein Favorit ist Two sleepy people, das eine junge Liebe beschreibt und einem vieles bekannt vorkommt, wenn man an die erste eigene denkt, die nicht mehr brauchte als das Verliebtsein, und aus jugendlichem Geldmangel oft im eigenen Zimmer bei den Eltern ein Zuhause fand. Besonders bei der fantastischen Aufnahme von Carly Simon (1997; mit John Travolta!) kann man sich gut davonträumen. Auch Carlys Version von I get along without you very well (1981: Torch) lässt spätestens in der letzten Zeile ... surely break my heart in two ...
          Und immer wieder kurios schön: Carmichaels seltenheitswerter Auftritt in dem Film To Have and Have Not (1944) mit Lauren Bacall (& Humphrey Bogart), die er am Piano begleitet und nun ein Märchen seinen Lauf nimmt ... Während sie How little we know singt, scheint Carmichael sie mit hypnotischen Blicken ins Verliebtsein zu dirigieren. Und tatsächlich spürt man die knisternde Spannung zwischen Bacall und Bogart, die sie nun – trotz des Altersunterschiedes von 25 Jahren – bis zu Bogarts Tod (1957) in eine Ehe großer Liebe führen sollte.
          Was Hoagy zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden ...
    → auch Jane Brown Thompson

     

  • Joe Cocker
    Selten ist die Coverversion besser als das Original. Aber wenn gleich 2 große Songs wie With a little help from my friends (John Lennon & Paul McCartney) und You are so beautiful (Billy Preston & Bruce Fisher) getoppt und zum Markenzeichen eines Künstlers werden, dann hat nicht der Kuckuck ihm die Eier ins Nest gelegt, sondern er sich selber. Unglaublich, was dieser fremde Vogel da ausgebrütet hat ...

     

  • Johnny Coles
    Gil Evans

     

  • Stig Dagerman
    Wenn ein 23-jähriger schwedischer Journalist und Schriftsteller 2 Monate lang im Deutschen Herbst des Jahres 1946 durch das zerbombte Nachkriegsdeutschland reist, durch eine menschengemachte Wüste, aus der Überlebende eher versuchen zu entkommen als zu bleiben, dann ist das alleine schon bemerkenswert. Wenn dieser dann auch noch die Stimmung, die bittere Armut, den alltäglichen Kampf um Wärme, Wasser und Essen mit Worten in seiner "Reisereportage" pittoresk und poetisch so treffend einfängt, dass man selber einen Film vor Augen zu sehen glaubt, und dabei anfängt zu frieren, dürsten und zu hungern, dann muss es ein großer Schriftsteller sein. Als ob das nicht schon genug wäre, beschreibt er darüberhinaus Nazis, Nazigegner und Alliierte so tiefgründig differenziert und schonungslos, freigeistig und unbestechlich, fernab ideologischer Verzerrung und alliierter Doktrin, altnazistischer Erbärmlichkeit und von Stunde-Null-Fetischismus, einzig in ergebener Menschlichkeit:

      Über die Nazigegner, die die Befreiung herbeisehnten, und deren Enttäuschung über die Nachsicht der Alliierten bei der Verurteilung der Altnazis sie besiegter sein lassen als die Nazis selbst, als faszinierendste Ruinen Deutschlands.

      Über die Gräuel der Deutschen, die es ohne Wenn und Aber gegeben hat, ihre Not deswegen aber noch lange nicht verdient ist. Nur weil diese Not kollektiv ist, waren es die Untaten trotz allem nicht.

      Über die Opfer, die sich in ihrer verletzten Menschlichkeit zum Schweigen verurteilt haben.

      Über die Entnazifizierung, eine lachhafte Farce von Staatsanwälten und Richtern, die ihre Zeit mit unbedeutenden Fällen verschwenden, während die schweren Fälle in deren Schatten verschwinden.

      Über menschenwürdige Lebensbedingungen und Hoffnung, die wichtiger für die Demokratie sind als freie Wahlen.

      Über Kurt Schumacher, der mit den saubersten Händen unter den Politikern. Doch ist es eine Illusion und schmeichelt nur den Alliierten, wenn er die Wahlerfolge der SPD als Beweis für demokratisches Denken des deutschen Volkes ansieht.

    Wer schon so jung auf seiner Reise zum Mittelpunkt der Seele angekommen ist, dessen Leben läuft schnell, zu schnell, läuft davon und reißt unerbittlich mit, so sehr, dass man nach und nach alles verliert: Die dichterische Kraft, die Liebe, die Erde unter den Füßen ... und mit 31 Jahren die Angst, sich das Leben zu nehmen ...
    → auch Erwin Dold / Diet Eman & Hein Sietsma / Gert Fröbe / Michaël Gaumnitz / Kurt Gerstein / Karl Jaspers / Fred K. Prieberg / Joseph Wulf

     

  • Miles Davis
    Das Konzert in Hamburgs CCH war eines seiner letzten, das ich miterleben durfte, auch wenn ich oft nur seinen Rücken sah ...

          Miles hatte ein untrügliches Gespür für Sounds und Talente. Kaum ein anderer Musiker kreierte im Jazz so viele Novitäten und entdeckte Größen, die fast alle danach eine große Karriere machten. Auch wenn man wie ich nicht zu seinen größten Fans gehört, muss man seine Bedeutung für den Jazz anerkennen. Das trifft auf die menschliche Seite allerdings nicht unbedingt zu: Von Kollegen wurde er als schwierig und unberechenbar beschrieben, wie er es auch selber mit "arschlöchrigen" Attribuierungen und erstaunlich offen in seiner Autobiografie (1989) tat. Dass er im CCH seine Musiker manchmal wie Schachfiguren auf ein anderes Feld schob, sollte da nicht mehr wundern. Verwundert war ich lediglich über deren starke Galle, die einfach nicht platzen wollte. Und so blieb ein konsternierter Eindruck, auch wenn man als Erklärung für seine Schwierigkeit die Wunden nicht vergessen darf, die er als Schwarzer im "Land der unbegrenzten apartheidnischen Möglichkeiten" erlitten hat.
          Im Laufe des Konzerts aber fing ich an, in der unablässig gezeigten kalten Schulter auch das genaue Gegenteil zu sehen: Nämlich eine Liebeserklärung! Denn jeder kompromisslos hingebungsvolle Musiker – und das ist Miles zweifelsohne – beschenkt uns mit allem was er geben kann und spricht durch seine Musik, nicht aber durch sein Auftreten. Bei diesem Konzert war ich mir jedenfalls sicher, dass er uns zwar mit Arroganz strafte, aber auch mit Weisheit beschenkte:

    Glaubt nicht was ihr seht, sondern was ihr hört. Blickt nicht auf Nebensächliches, sondern hört auf Wesentliches.

    Und wer das Hören gerade gelernt hat, hat an Nebensächlichem sowieso kein Interesse mehr ...
    → auch Gil Evans / João Gilberto / Abel Meeropol / Marilyn Monroe

     

  • Alfred Deller
    Die Bedeutung Dellers als erster wichtiger Countertenor im 20. Jahrhundert ist unbestritten. Auch dass er zu den Pionieren der "Alten Musik" und ihrer Renaissance gehört, ist unüberseh- und unüberhörbar. Seine Größe ist gesichert ... Aber maßlos ergreifend sind seine Folksong-Arrangements aus den 1950er Jahren. Besonders die Platten The three ravens und The wraggle taggle gypsies, wie auch die Christmas Carols auf The Holly and Ivy und Hark!, Ye Shepherds berühren verstörend. Die Arrangements für sein Vokalensemble und die geniale Lautenbegleitung von Desmond Dupré lassen keine andere Interpretation möglich erscheinen, und seine Aufnahmen treffen die Seele da, wo jeder Widerstand zwecklos ist ...
          Ein Jahrzehnt später floß die DNA von Dellers Jahrhunderte alten Volksliedern in den Geist der '68er-Bewegung ein, neben dem Folksong-Repertoire von Woody Guthrie und Pete Seeger und anderer Folk-Ikonen. Auch "seine" Lieder, die nun in anderem Gewand daherkamen, verhalfen so zum zwecklosen Widerstand von Staat und Obrigkeit ...
    → auch Carly Simon, 2006: Into White & 1990: Have you seen me lately

     

  • Alirio Diaz
    Seine Aufnahmen klassisch lateinamerikanischer Musik, wie die von Antonio Lauro und Agustín Barrios Mangoré, kommen so ungestüm und lustvoll daher, wie ein Kind, das sich über das schönste Geschenk der Welt freut. Man hört ihn auf der Gitarre Purzelbäume schlagen und manchmal auch überschlagen. Aber zählen tut letztlich die Intuition, der Geist, das Wesentliche unverbaut mit kindlicher Naivität sagend. Schön, wie sich dieser große Gitarrist die Kindheit bewahrt hat.

     

  • Erwin Dold
    Ich konnte das nicht mitansehen, ich konnte das nicht verantworten, dass man mit Leuten so umgeht. ... Es waren Kranke dabei, die hatten zu wenig Kleidung und das Essen war mangelhaft. Es hat sich einfach niemand um diese Menschen gekümmert.

          Er versteckte eine kleine Herde Schlachtvieh in einem Wäldchen und löste Fliegeralarm aus. Die Wachmannschaften ließen sich täuschen, machten die Scheinwerfer aus und zogen sich zurück. So konnte er das Vieh in der Dunkelheit ins Lager treiben. Ein anderes Mal schmuggelte er Kleidung und Decken hinein, nachdem er die Wachen betrunken gemacht hatte. Auch verhängte er Seuchenquarantäne um die Häftlinge vor der schweren Arbeit zu schonen. Und vieles mehr ...
          Nach dem Krieg wurde er von einem französischen Militärtribunal wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Alle Lagerhäftlinge, die als Zeugen hier aussagten, hoben seine Menschlichkeit und große moralische Stärke hervor ...
          Es war der 24-jährige Lagerkommandant, der KZ-Kommandant, der einzige KZ-Kommandant, der jemals freigesprochen wurde: Erwin Dold.
    → auch Stig Dagerman / Diet Eman & Hein Sietsma / Gert Fröbe / Kurt Gerstein / Karl Jaspers / Fred K. Prieberg / Joseph Wulf

     

  • Desmond Dupré
    Alfred Deller

     

  • Diet Eman & Hein Sietsma
    ... eine junge Liebe, aus der Gerechte unter den Völkern wurde ...

    Niederlande 1940:
    Mit Beginn der deutschen Besatzung und der damit verbundenen Judenverfolgung, verübte das etwa 20 Jahre alte Liebespaar, wütend über dieses größte Unrecht, bewaffnete Raubüberfälle auf deutsche Behörden. Christlich erzogen, beteten sie immer vorher zu Gott, dass er ihre Überfälle segnen möge. So wurden Lebensmittelkarten ihre Beute, denn schließlich mussten die von ihnen versteckten Juden versorgt werden. Auch klauten sie Ausweise ihrer Verwandten, die sie fälschen ließen und den Verfolgten für ihre Flucht übergaben. Diet sagte später darüber, dass man zwar weder lügen noch stehlen dürfe, aber in der Not sind manche christlichen Gebote wichtiger als andere. ... Sonst kann man keine innere Ruhe haben, wenn man nicht was macht.
          Trotz der zunehmenden Gefahr halfen sie auch weiterhin wo sie nur konnten, wechselten aber häufiger Verstecke und ihre Identität. Auch sahen sie sich seltener, um sich nicht zu gefährden. Und so kam es, dass sie ihre Verlobung in der Straßenbahn feierten: Bei einer verabredeten Haltestelle sprang Hein auf die Bahn, tauschte Ringe und Küsse mit Diet, und verschwand so plötzlich wie er gekommen war. Diet war überglücklich, und Hein wurde zu ihrer großen Liebe. Es war die gefahrvollste, aber ihre schönste Zeit mit ihm, denn alle Schwierigkeiten haben ihre Liebe nur noch tiefer werden lassen. Das Aufgebot für die Hochzeit war schon bestellt! Nur sagte eine tiefere Stimme in ihr, dass sie niemals heiraten werden ...
          Bei einer Routinekontrolle wird Hein im April 1944 im Zug von der Gestapo verhaftet, und für Diet beginnt nun ihre schwerste Zeit. Kurz danach wird Diet ebenfalls in einem Zug verhaftet, kann jedoch in letzter Sekunde belastendes Material auf den Bahnsteig werfen. Wochen danach wird sie ins KZ Herzogenbusch verlegt, wo sie die blutverschmierten Hemden von exekutierten Widerstandskämpfern waschen muss, verrückt bei dem Gedanken, dass eines vielleicht Hein gehört. Schließlich übersteht sie die katastrophalen Lebensbedingungen und das entwürdigende Verhör, und wird entlassen. Es war ihr geschickt gelungen die Nazis an der Nase herumzuführen und eine wasserdichte Geschichte zu erlügen. Und das unter diesen wahnsinnigen Umständen, und in unerträglicher Sorge um ihren Hein ...
          Im Mai 1945 wird die Niederlande befreit. Alle Juden, die von Diet und Hein auf sorgfältig ausgesuchten Bauernhöfen versteckt worden sind, haben überlebt! ... Und Diets Brautkleid?
          Monate nach Kriegsende erhält Diet einen Brief, nicht größer als eine Streichholzschachtel, von Bauern gefunden. Hein hatte ihn aus dem Zug geworfen, auf dem Weg nach Dachau:

    ... Auch wenn wir uns auf Erden nicht wiedersehen,
    werden wir unsere Haltung niemals bereuen ...
    Ich habe nie jemanden geliebt wie Dich ...
    Omnia vincit amor
    (Liebe besiegt alles).

    Jeder Krieg, der auch nur ein Liebespaar auseinanderbringt, ist ein Verbrechen ...
    → auch Stig Dagerman / Erwin Dold / Gert Fröbe / Kurt Gerstein / Karl Jaspers / Fred K. Prieberg / Joseph Wulf

     

  • Bill Evans
    Es waren die NDR-Aufnahmen von 1972, die mich für immer in seinen Bann ziehen sollten. Von diesen Trio-Aufnahmen so gefesselt, rief ich Anfang der 1990er, kurz nach Gründung meines Labels, den bekannten Jazz-Redakteur Michael Naura an und erzählte ihm entflammt von meinem Plan, Evans' fabelhafte NDR-Session auf CD zu veröffentlichen. Naura: Da sei ein großes Label dran und ich möge dafür Verständnis haben, dass er ihm den Vorzug gäbe. ... Natürlich hatte ich dafür (enttäuschtes) Verständnis, sogar noch heute. Allerdings ist das Verständnis sauer geworden, denn die Aufnahmen sind bis heute nicht erschienen, auch nicht bei dem großen Label. ... Nun, der Naura ist nicht mehr, und dennoch kann ich mir einen Rat post mortem nicht verkneifen: Nächstes Mal nimmste 'n kleines, statt (k)ein großes Label!

          Mit Inner voices hat der bekannte Jazz-Kritiker Leonard Feather den vielstimmigen Stil von Evans treffend beschrieben: Linke und rechte Hand verweben sich zu einem heterophonen Klang-Netz, das so dicht ist, dass ein Verfolgen der Stimmen oder Akkorde kaum möglich ist, und die strikte Trennung zwischen beiden Händen – Begleitung und Melodie, wie sie vor ihm üblich war – er damit aufhob. Die sich wie in einem Prisma ständig verändernden Farben erinnern dabei an impressionistische Ton- oder Kunstgemälde, die aber nie zu fassen sind, weil stets angedeutet, und sich gänzlich anders auflösen als erwartet. Die andere große Novität war das interaktive Spiel im Trio, wo Schlagzeug und Bass gleichberechtigt demokratische Triologe mit dem Klavier führten, und so auch eine Bahn für den Free-Jazz brachen.
          Aber mehr noch als all das, eroberte er uns mit seinen Balladen, eigene wie fremde. Die trafen ins Herz. Und das bekam auch seine Frau zu spüren: For Nenette, ... vielleicht die schönste Ballade, die man seiner Frau widmen kann ...
    → auch
    Jim Hall / Johnny Mandel

     

  • Gil Evans
    Als einer der individuelsten Arrangeure, der konsequent seinen künstlerischen Weg ungeachtet des kommerziellen Erfolgs ging, prägte Gil Evans so viele Novitäten wie kaum ein anderer: Neben der Erweiterung des Instrumentariums im Orchester, sind es die Klangschichtungen, die sich hier eher mit Poly-Harmonik als mit dem sonst gebräuchlichen Polytonalität beschreiben lassen. Manche Akkorde scheint er manchmal einfach vergessen zu haben, die dann im nächsten Takt stehen bleiben und von neuen Akkorden überlagert werden anstatt sich neu zu formieren.
    ... Forgotten harmonies ...
          Eines seiner Meisterwerke mit solchen Harmonien ist zweifelsohne das Album Sketches of Spain (1960), das er mit Miles Davis aufgenommen hat. Für beide war die Zusammenarbeit ein echter Glücksfall, was auch andere Platten hören lassen. Schließlich war Miles voller Bewunderung für Evans, musikalisch wie menschlich, der für ihn der beste Arrangeur war und bester Freund, wie er in seiner Autobiographie schreibt.
    ... Unforgettable harmony ...

          Eine grandiose Aufnahme, wo sich Evans' Meisterschaft auch zeigt, ist I will wait for you, gesungen von Astrud Gilberto auf ihrer Platte Look to the rainbow (1966). Mit einem fantastischen Trompeten-Solo von Johnny Coles über eines der traurigsten Liebeslieder, die geschrieben worden sind. Michel Legrand (Text: Jacques Demy / engl. Text: Norman Gimpel) komponierte diesen Klassiker für den bedeutenden Musical-Film Les Parapluies de Cherbourg (1964) mit Catherine Deneuve und Nino Castelnuovo.
          Evans gibt dem Lied eine für seinen Arrangementstil entscheidende Grundlage für eine elegische Ton-Sprache: Das sehr langsam gewählte Tempo und die Änderung des originalen 4/4- in einen 3/4-Takt. Das Lied erhält dadurch eine Leichtigkeit und Zartheit, es schwebt über dem Boden, der durch die Klage der Worte und Musik unter den Füßen verloren gegangen ist. Dazu passt der eher zurückhaltende und manchmal gar teilnahmslos wirkende Gesangsstil von Astrud Gilberto, die genau das richtige Gefühl trifft. Wie sollte man auch diesen Song anders singen, wenn man von unendlichem Liebeskummer (thousand summers) paralysiert ist? Viel Pathos und Emotion passen hier nicht. Es gibt für mich jedenfalls keine bessere Gesangsversion.
          Der Song beginnt verhalten, auffällig sind nur die Klangschichtungen, die an impressionistische (Ton-)Malerei erinnern, die vergessenen Harmonien. Das erste Mal brechen die Bläser aus bei 1.13 (min./sek.), anywhere you go, und man glaubt einen Schmerz zu hören. Je häufiger man ihn hört, desto mehr spürt man ihn. Danach folgt bei 1.52, the clock will tick away ..., – das Ticken der Uhr wird durch einen genialen Bläsersatz imitiert – und das Lied wechselt in seinen ursprünglichen 4/4-Takt. Bei 2.19, to my waiting arms, brechen die Bläser wieder aus den verhaltenen Klängen aus, und wieder hört man einen Schmerz. Danach folgt – ab 2.31 wieder im 3/4-Takt – das unglaubliche Trompeten-Solo von Johnny Coles, eines der für mich gefühlvollsten Soli im Jazz. Man spürt, dass er versucht den Text auszudeuten, was sonst eigentlich nur gute Sänger machen. Er aber singt förmlich mit seiner Trompete. Das wird besonders deutlich bei dem erneuten Einsatz von Astrud Gilberto, deren Gesang er sehr einfühlsam begleitet und bei 3.23 zu den Worten I will wait for you die Melodie spielt und dann über for a thousand summers dasselbe Motiv 5 mal wiederholt, nur mit diminuierten Notenwerten, als ob er durch beharrliche Repetition den Herzensschmerz mit aller Gewalt wegklagen möchte.
          Keine andere Aufnahme beschreibt Liebeskummer so poetisch und musikalisch berührend wie diese.

          Seit den 1990er Jahren ist dieses "Leiden" auch als Broken Heart Syndrom bekannt und als ernstzunehmende Erkrankung etabliert, die ähnliche Symptome hat wie ein Herzinfarkt, sogar mit möglicher Todesfolge. Ein gebrochenens Herz ist weitaus mehr als nur eine romantisch sentimentale Pein, wo jeder mal durchmuss, oder eine unausweichliche Feuertaufe auf dem Weg durch das Leben. Warum sollte auch einer der wohl ekelhaftesten Schmerzen, den jeder im Leben irgendwann hat, eine Ausnahme unter anderen "Krankheitsbildern" sein? Warum sollte das Gefühl von auswegloser Verzweiflung, fehlendem Lebenswillen und vereinnahmender Lethargie, verlorener Perspektive und Hoffnung nicht auch eine Erkrankung sein?
          Auch ich weiß davon Lieder zu singen. Und die "gelungene Kooperation" von Gil Evans, Astrud Gilberto, Johnny Coles und natürlich Michel Legrand machte zwar zunächst alles schlimmer, denn ich spielte das Stück immer und immer wieder. Aber gerade durch das Zeitnehmen und Ausleben der Trauer, kann ein gebrochenes Herz letztlich schneller und besser heilen. Dafür muss nur jeder sein Ritual, oder sein Lied finden ...
    → auch
    Miles Davis / Carly Simon, 1981: Torch / Stevie Wonder

     

  • Manuel de Falla
    Paco de Lucia

     

  • Gert Fröbe
    So zerbrechlich dünn, wie er sich 1948 in dem grandiosen Nachkriegsfilm Berliner Ballade als Otto Normalverbraucher dem Publikum präsentierte, verließ er uns wieder in seiner letzten Rolle 1988 in Die Schwarzwaldklinik. In beiden Filmen erkennt man ihn nicht wieder: Zu gewaltig und bekannt waren seine "beleibten" Rollen: 1958 in Es geschah am hellichten Tag als Kindermörder Schrott, 1960 in der liebenswerten Komödie Der Gauner und der liebe Gott, und natürlich 1964 als Gegenspieler von James Bond Goldfinger. Egal auch welche Rollen er spielte, andere Schauspieler drohten von ihm regelrecht an die Wand gespielt zu werden, was ihm nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Mensch größte Sympathien einbrachte. Er wirkte in jeder Beziehung absolut urgewaltig und glaubwürdig ...
          Das wurde 1965 allerdings für kurze Zeit getrübt, als bekannt wurde, dass er als 16-jähriger 1929 in die NSDAP eingetreten war, worauf Israel mit einem Boykott seiner Filme reagierte. Schnell stellte sich dann aber heraus, dass er damals einer jüdischen Familie geholfen hatte. Außerdem trat er 1937 zu einem Zeitpunkt aus der NSDAP wieder aus, in dem man dafür wahrlich viel Courage brauchte. Man mochte auch dem großen Filmbösewicht des deutschen Kinos nicht abnehmen, dass er auch im Leben der unmenschliche Schurke war, den er so glaubwürdig spielte. Dafür war er zu menschlich ...
    → auch
    Stig Dagerman / Erwin Dold / Diet Eman & Hein Sietsma / Kurt Gerstein / Karl Jaspers / Fred K. Prieberg / Michel Simon / Joseph Wulf

     

  • Mahatma Gandhi
    Wieviel Liebe muss man in sich haben,
    um den Hass so in Angst zu versetzen,
    und ihn bei der Vervollkommnung seiner Krankheit zu stören,
    bis er aus seinen feigen Löchern kommt,
    um die Liebe in ihrer menschgewordenen Gestalt zu ermorden?

          Von diesem Menschen wird man noch in 1000 Jahren reden, von seinem Mörder und denjenigen, die es auch hätten sein können, aber nicht mehr.
    Wenn der Hass doch nur gewusst hätte, dass man Gandhi nicht ermorden kann ...

     

  • Jether Garotti
    Zizi Possi

     

  • Michaël Gaumnitz
    Wer sich filmisch an eine so differenzierte wie tiefgründige und poetische "Reisereportage" über das zerstörte Nachkriegsdeutschland, wie die von Stig Dagerman heranwagt, kann eigentlich vieles nur schlechter machen. Herausgekommen ist aber ein Meisterwerk, 1946 – Herbst in Deutschland (2009), das Dagermans maßstabsetzende Reportage visuell umsetzt, mit einer Selbstverständlichkeit, die auch im Film keinen anderen Autoren vermuten lässt als Dagerman selbst.
          Gaumnitz' Film lediglich als Dokumentation zu bezeichnen, greift nicht weit genug. Er ist noch vielmehr eine künstlerische Symbiose zwischen Original und "Bearbeitung". Dabei dürfte alleine die Recherche schwer genug gewesen sein, Originalbilder und -filme dieser Zeit zu finden, die Dagermans Reportage so lebendig wirken lassen, als ob er auf seiner Reise eine Kamera dabeigehabt hätte. Dazu unterstreichen die kunstvollen Animationen eher die Poesie in Dagermans Worten, sind völlig unaufdringlich und fernab von Effekthascherei, was in vielen Filmen, egal welcher Art, leider anders ist. Ebenso die Musik: Wohlkomponierte Pausen, eingerahmt von sparsam gesetzen Klängen. Schließlich sprechen die Worte und Bilder schon Musik genug. Viele Filmkomponisten vergessen das, als ob sie noch nie von John Cage 4'33" gehört hätten und dessen tieferen Sinn, der dahintersteckt.
          Bei diesem Werk weiß man oft nicht, ob es Bild oder Rahmen ist, Dagerman oder Gaumnitz, oder eine metaphysische Zusammenarbeit, zu der beide sich auf einer Transzendentale getroffen haben ...

     

  • Kurt Gerstein
    Unter allen Widerständlern im Dritten Reich war Kurt Gerstein der unfassbarste und wohl tragischte. Und eigentlich ist es unmöglich sich wortfassend nicht zwischen den Abgründen und Gewissenstaten seines einsamen Handelns zu verlieren ...
          Aufgewachsen in einem deutsch konservativen Elternhaus, zeichnete sich der 1905 geborene Gerstein früh als intelligenter, aber schlechter und schwieriger Schüler aus. Ab 1925 engagierte er sich in christlichen Vereinigungen, mit späteren Kontakten zur Bekennenden Kirche und Martin Niemöller. 1933 trat er in die NSDAP ein, aus der er 3 Jahre später wegen staatsfeindlicher (religiöser) Betätigung wieder ausgeschlossen wurde. Seit 1933 wurde er mehrmals von der Gestapo wegen christlicher Betätigung verfolgt und inhaftiert, und kam 1938 für einige Wochen ins KZ. ... Keine Biographie für eine NS-Laufbahn. Umso überaschender trat er 1941 in die Waffen-SS ein, aber nicht aus Überzeugung: Eine geisteskranke Verwandte wurde im Zuge des Euthanasie-Programms ermordet, worauf er beschloss in diese Öfen und Kammern hineinzuschauen. So gelang es ihm im Sanitätswesen der Waffen-SS, Abteilung Hygiene, in der Desinfektion mit hochgiftigen Gasen und in der Umstellung der Gaskammern auf Blausäure, die jetzt mit Dieselauspuffgasen arbeiten, tätig zu werden. ... Ein seltsamer Weg, vom aufmüpfigen Christen in die mörderischte Organisation und Stellung, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Sie führte ihn in die KZs Treblinka, Majdanek, und Belzec, wo er im August 1942 Zeuge einer Vergasung mit Auspuffgasen wurde und tiefer in die Öfen und Kammern hineinschaute als auszuhalten war:

      ... so gehen sie die Allee entlang, alle nackt, Männer, Frauen, Kinder, ohne Prothesen. ... Mütter mit ihren Säuglingen an der Brust, sie kommen herauf, zögern, treten ein in die Todeskammern! ... Wie gern wäre ich mit ihnen in die Kammern gegangen. Wie gerne wäre ich ihren Tod mitgestorben. ... Noch also darf ich nicht. Ich muss zuvor noch künden, was ich hier erlebe. ...

          Wenige Tage nach dem Erlebten lernt Gerstein Baron von Otter im Zug kennen, den Schwedischen Gesandten in Berlin, und bat ihn inständig darum, diese entsetzlichen Erlebnisse seiner Regierung und den Alliierten zu berichten, da jeder Tag Zehntausenden das Leben kosten müsse:

      ... Helfen Sie! Das Ausland muss es wissen. Es muss Weltgespräch werden. Es gibt kein anderes Mittel um diesen wahnsinnigen Scheußlichkeiten ein Ende zu machen.

          Von Otter berichtete es auch. Ferner versuchte Gerstein den Päpstlichen Nuntius in Berlin zu unterrichten, der den Empfang aber verweigerte. Weitere Hunderte von Persönlichkeiten hatte er ebenfalls kontaktiert, wie auch den holländischen Widerstand. Doch trotz all dieser Bemühungen gab es keine entscheidende Reaktion, da man oft weder ihm glaubte noch seine Schilderungen fassen konnte oder wollte. Dass er dabei sein Leben aufs Spiel setzte und im Falle der Entdeckung sofort mit dem Schlimmsten rechnen musste, ist selbstredend. Zu diesem "Verrat" kamen noch Sabotageakte dazu, in denen er Lieferungen von mehreren Tonnen Zyklon B als untauglich, weil zersetzt, deklarierte, oder sie verschwinden ließ und somit vielen Menschen das Leben rettete.
          Am Ende des Krieges stellte sich Gerstein den Franzosen und schrieb den sog. "Gerstein-Bericht" (4.5.45) über all seine Erlebnisse und Tätigkeiten in der Waffen-SS. Auch hier glaubte man Gerstein nicht. Statt Zeuge des Holocaust zu werden, wurde er als Täter angeklagt. Am 25.7.45 wurde er unter ungeklärten Umständen erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Wahrscheinlich konnte er das Erlebte, die Haft und die Ungewissheit über den Ausgang des Gerichtsverfahrens nicht länger ertragen. Besonders tragisch war, dass Baron von Otter 2 Tage zuvor den schwedischen Botschafter in London kontaktierte, mit der Bitte Gerstein beizustehen, falls dieser in die Hände der Alliierten fallen würde.

          Der schmale Grat, auf dem sich Gerstein bewegte, wurde ihm zum Verhängnis. Zu offensichtlich war auf den ersten Blick seine Verstrickung in dem bis dahin scheußlichsten Verbrechen der Menschheit. Zu verführerisch war die schnelle Aburteilung, die des Teufels Helfer drohte. Erst viele Jahre nach Kriegsende wurde immer deutlicher, dass viele von Gersteins unglaublichen Taten und Motiven, wie auch viele der Fakten in seinem berühmten Bericht wahr gewesen sind, was Zeugen und Dokumente belegen. Dass Gersteins Schilderungen von 1942 die ersten Hinweise auf den Holocaust gewesen sind, von den Alliierten aber ignoriert wurden, macht die ganze Tragik nur noch größer. Die Rehabilitierung folgte erst nach und nach, und erreichte 1963 durch Rolf Hochhuths "christliches Trauerspiel" Der Stellvertreter einen ersten Höhepunkt, der Gerstein bekannt machte.
          Auch wenn Kurt Gersteins Taten nicht den erhofften Erfolg brachten, sind sie doch ein ewiges und gewaltiges Dokument von Menschlichkeit und eine bis über die Grenzen hinausgehende Zivilcourage. Ein Dokument, das aber für seine gequälte Seele mindestens genauso gefährlich war, wie von den Nazis entdeckt zu werden. Wer aber in die Öfen und Kammern hineinschauen will, droht zerrissen zu werden zwischen Gottes Spion und des Teufels Helfer ...
    → auch Stig Dagerman / Erwin Dold / Diet Eman & Hein Sietsma / Gert Fröbe / Karl Jaspers / Fred K. Prieberg / Joseph Wulf

     

  • Astrud Gilberto
    Gil Evans

     

  • João Gilberto
    He could read a newspaper and sound good, so beschrieb Miles Davis den großen Sänger und Gitarristen des Bossa Nova. Gleichzeitig lenkt diese Eloge das Augenmerk auf Gilbertos Markenzeichen: Den rezitativen Gesangsstil, der sich weder an Rhythmus noch an gängiger Interpunktion und Syntax halten will. Sein "Rezitativ" schwimmt wie auf einem Meer, in dem man Anfang und Ende der Wellen nicht vorhersagen kann. Die Zählzeiten eines Taktes werden wie in Einsteins Raumzeit gedehnt und klingen in der nun 4. Dimension dennoch zwangsläufig und natürlich. Wer Gilberto das erste Mal hört, wird nicht nur von seinem Timing überrascht sein, sondern auch von seiner leicht "chromatischen" Intonation. Aber bevor man sich versieht, gerät man selber ins Schwimmen, in einem Meer schwebender Melodie- und Rhythmuswellen, deren Anfang und Ende verklärt sind und jegliche Fraglichkeit im Keim entwaffnen. Die portugiesische Sprache – für viele die schönste und melodiöseste der Welt – tut ihr Übriges. João Gilbertos Gesang ist ein unerträglich schöner Sound, und ihm beim Lesen einer Zeitung zuzuhören, muss einem wie Gesang vorkommen ...
    → auch Antonio Carlos Jobim / Johnny Mandel

     

  • Vincent van Gogh
    Genie und Wahnsinn, Besessenheit und Armut, Verkennung und früher Freitod. Das sind die Zutaten für das Klischee eines "wahren" Künstlers, den jeder für groß und bedeutend halten muss, ...

      Van Goghs berühmtes Portrait des Dr. Gachet wurde in den 1990er Jahren für 13,7 Millionen Dollar verkauft und war bis dahin das teuerste Bild überhaupt. Sicherlich ist für dieses "Weltkulturerbe" kein Preis zu hoch, ... oder doch?
            Van Gogh, der vom Publikum und vielen Kollegen Ignoranz und Häme erfahren hat, konnte nur mit großzügiger Unterstützung seines Bruders Theo finanziell überleben. Gerade mal ein einziges Bild (400.- Franc) konnte Vincent zeit seines Lebens verkaufen und sich damit wenige Wochen über Wasser halten. Wirken da 13,7 Millionen Dollar im Nachhinein nicht wie eine erneute Verhöhnung, zumal der Künstler davon nichts mehr hat? ... Oder wenigstens andere? ... Wer jedenfalls bereit ist Millionenbeträge für Kunst auszugeben und sich als "Kunstliebhaber" mit fremden und anerkannten Federn schmücken will, sollte auch bereit sein ebensoviel in heute lebende und (noch) nicht erkannte "Van Goghs" zu investieren, egal in welchen Künsten diese wirken. Das wäre ein kleiner Beitrag zur finanziellen Förderung, die neben der ideellen, nämlich der Anerkennung, dem lebenden Künstler das gibt, was er verdient.
            Mittlerweile hat der Kunstmarkt fast die 200-Millionen-Dollar-Marke erreicht. Das sind Summen, die eigentlich nur noch Ekel erregen. Zu weit sind sie von Kunst und von verdientem Verdienst entfernt. Viele Experten ähneln hier eher Börsenmaklern als Kunstkennern, geschweige denn Kunsterkennern. Denn außer den Marktwert richtig einzuschätzen, ist es noch weitaus schwieriger auf die Schuster achtzugeben, die Generäle (oder Maler) hätten werden können (→ Susan Cain).

    ... und dabei reicht doch ein Blick auf die dunklen Bilder seiner frühen Jahre, bis hin zu der Farb- und Lichtexplosion der letzten, und wir sehen den wahren Künstler, ganz ohne marktsteigerndes Klischee wie Wahnsinn, Besessenheit, Armut, Verkennung und Freitod eines 37-jährigen. Was hätte dieses Genie uns hinterlassen können, wenn es 13,7 Millionen Dollar, oder wenigstens genug zum Leben für seine Bilder erhalten hätte? ... Vielleicht mehr, vielleicht aber auch nicht. In jedem Fall aber hätte er ein menschen- und künstlerwürdiges Leben führen können. Und das sollten die heutigen Van Goghs auch ...

     

  • Vince Guaraldi
    Jazz-Musikern war er natürlich bekannt, dem großen Publikum jedoch nicht, obwohl jeder seine Musik kannte ...

          Als Kind habe ich am liebsten Zeichentrickfilme gesehen, aber nur die, bei denen ich mich nicht veräppelt fühlte, weil Erwachsene mal wieder glaubten Kinder in einer pränatalen Sprache ansprechen zu müssen, und das dann auch noch für sonderlich kindgerecht hielten.
          Das war gänzlich anders bei den Peanuts: Die Serie und Filme kamen so intelligent daher, vor allem durch die liebenswert coolen "Charakterdarsteller" Charlie Brown, Lucy, Linus, Sally, Peppermint Patty, Schroeder und natürlich Snoopy. Berieselnde Unterhaltung und Raum für kreative Phantasie hielten sich in natürlicher Waage. Feinsinnig gezeichnet, Bilder, wie Charaktere und Handlung von dem genialen Erfinder der Peanuts Charles M. Schulz, und mit einer Musik untermalt, wie man sich keine andere vorstellen kann. Vince Guaraldis Linus and Lucy wurde zum bekannten Hauptthema und Leitmotiv, obwohl es ursprünglich als solches nicht vorgesehen war. Doch eignete sich kein anderes wiedererkennungswertes Stück so gut wie dieses, das 1963 ein 1. Mal in einer unveröffentlichten Film-Doku über Charlie Brown vorkam und 1 Jahr später auf Guaraldis Platte Jazz Impressions of a Boy Named Charlie Brown zu hören war. Ebenfalls unvergesslich ist sein Walzer Skating, zu dem Snoopy seine Eislaufkünste mit Pirouetten und Saltos präsentiert, um am Ende dann doch noch auf die Schnauze zu fliegen. Auch dieses Stück spinnt sich wie manch anderes in weiteren Filmen fort.
          Dabei hat Guaraldi die Musik intuitiv den Darstellern und Szenen auf den Leib geschrieben, ohne die möglichen Um- und Irrwege einer wohlüberlegt konstruierten Komposition gegangen zu sein. Denn anders kann man kaum mit der Note so ins Schwarze treffen und sich diese Leichtigkeit erklären. Es passte jedenfalls immer. Natürlich ist es aber auch ein Verdienst seines Trios mit Monty Budwig (b) und Colin Bailey (dr), die seiner Musik den nötigen Teppich legten und sich gekonnt auf unauffällige Begleitung beschränkten und nicht zu interaktiv spielten, wie es bei den tonangebenden Größen im Jazz der 1960er üblich war. Und letztlich sind es Guaraldis Harmonien und Modulationen, die selten aus erweiterten Akkorden bestehen und oft im besten Sinne naiv und ein wenig unjazzig klingen, die Guaraldis Stil aber so einzigartig machen und auch eine Erklärung für eine der wohl unverwechselbarsten Filmmusiken aller Zeiten ist. Jedenfalls hat für mich bis heute der Reiz an den Peanuts-Filmen mit der wunderbaren Musik auch als "großes Kind" nichts verloren. Und mehr noch als damals erscheinen mir die Peanuts die beste Antwort auf "kindgerechte" Erwachsene zu sein ...

     

  • Werner Haas
    Seine Gesamteinspielung des Solo-Klavierwerks von Maurice Ravel aus dem Jahr 1964/65 ist frei von der Suche nach Interpretation; sie ist nicht greifbar, sie ist unfassbar.
          Musik fängt da an, wo Interpretation aufhört ...

     

  • Jim Hall
    Er befreite die Gitarre von starren Begleit- und Soli-Schemata, hatte den wärmsten und natürlichsten Sound, schrieb mit All across the city eine der schönsten Jazz-Balladen, und sein Spiel wirkte wie die Äquivalenz von
    Bill Evans' Klavierspiel ...
          ... Und so hört man auf ihren Platten Undercurrent (1962) und Intermodulation (1966) ein absolut zwangsläufiges, natürliches Miteinander, bei dem keiner führt, und sich doch beide vom anderen führen und verführen lassen. Man hört ein Instrument, trotz der verschiedenen Klangfarben von Gitarre und Klavier, als ob man den Prozess einer Kreuzung zweier Gattungen miterleben, miterhören kann. Was sollte man auch anderes von diesen beiden Ur-Demokraten erwarten, die schon vor ihrer Zusammenarbeit für die Gleichberechtigung der Instrumente eingetreten sind? Wer den Geist überkommener Musikhierarchie ins Wanken bringt, kann sich auch mit "intermodularen Unterströmungen" zu den schönsten Duo-Aufnahmen der Jazzgeschichte emporspielen!

     

  • Jimi Hendrix
    Es war nicht geplant, und seine Musiker stiegen deshalb aus, als er begann die amerikanische National-Hymne The Star-Spangled Banner in Woodstock (1969) auf seiner Gitarre mit den Napalm-Bombern des Vietnamkrieges zu zerreißen: Ein Ton-Gemälde, das mit Picassos Öl-Gemälde Guernica zu den eindrucksvollsten Antikriegs-Gemälden gehört.
          Wieviel Liebe muss man in sich haben, um den Hass anderer so malen zu können? ...
    → auch
    Daniel Barenboim / Ismail Khatib

     

  • Billie Holiday
    Abel Meeropol

     

  • Bernhard Horn
    Sissa ibn Dahir

     

  • Karl Jaspers
    Was geschah, ist eine Warnung. Sie zu vergessen, ist Schuld. Man soll ständig an sie erinnern. Es war möglich, dass dies geschah. Es bleibt jederzeit möglich. Nur im Wissen kann es verhindert werden.

    Nur wenige dachten so im Nachkriegstrauma und -taumel dieses bis dahin größten Menschheitsverbrechen.
          Zum Teil verständlich, ging es doch nun wieder ums Überleben, wenn auch anders. Aber deshalb alles vergessen? Lehrt uns nicht gerade immer wieder die Geschichte, dass eine lebenswerte Zukunft nur im Wissen um die Vergangenheit, ihrer Bewältigung und in Erinnerung an sie erreicht werden kann? Für Karl Jaspers war es neben dem Erinnern auch ein Mühen um Wahrheit, wie er 1946 im Vorwort seines bis heute wegweisenden Buches Die Schuldfrage schrieb, die Schuld des Nazireichs und die Mitschuld des Einzelnen philosophisch zu definieren:

      1. Kriminelle Schuld – (Verbrechen, die gegen Gesetze verstoßen)
      2. Politische Schuld – (Handlungen eines Staates, die dieser und jeder einzelne Staatsangehörige mitzuverantworten hat)
      3. Moralische Schuld – (Taten, die der Einzelne begeht oder zulässt, die gegen das Gewissen verstoßen)
      4. Metaphysische Schuld – (Mitschuld durch fehlendes oder ungenügendes Handeln gegen Unrecht und Ungerechtigkeit in der Welt)

          Jaspers 4 Schuldbegriffe lassen den Schuldigen nicht entkommen. Jeder Verbrecher, politisch fehl handelnde, gegen sein Gewissen verstoßende, und jeder, der nicht genug gegen den NS-Staat getan hat, war schuldig! Und das waren in letzter Konsequenz alle, die nicht emigriert oder in den offenen Widerstand gegangen sind bzw. in den verdeckten, also die, die kollaborierten um von innen her zu zersetzen oder Naziopfern zu helfen. Zumindest musste man durch die bloße Anwesenheit in einem solchen Staat damit rechnen, dass man früher oder später in dessen Machenschaften verstrikt wird und sich nicht entziehen kann. Folgt man Jaspers – ... der Nazistaat war ein Verbrecherstaat, nicht ein Staat, der auch Verbrechen begeht –, war es jedenfalls unausweichlich.
          Natürlich nimmt die Schwere der Schuld mit absteigender Hierarchie ab: Vom obersten Nazi-Bonzen über das "bloße" NSDAP-Mitglied bis hin zum Nazi-Gegner, der jedoch zu handeln versäumte. Im letzten Fall mag es sich zunächst wie ein neunmalkluger Schnellschuss aus der sicheren zeitlichen Distanz anhören. Die dahinterstehende Philosophie aber ist es nicht. Es ist vielmehr eine Mahnung, dass jeder zu jeder Zeit Verantwortung hat und handeln muss, wenn Verbrechen geschehen. Jeder Mensch ist für seine Worte und Unworte, Taten und Untaten verantwortlich, aber auch für seine ungesagten Worte und ungetanen Taten! Denn schließlich: Die meisten Untaten begehen wir untätig!
          Trotz dieser "strengen" Schulddefinition lässt Jaspers aber auch Erklärungen oder gar Entschuldigungen zu, ja wirbt für sie:

      Jeder von uns hat Schuld, sofern er untätig blieb. Die Ohnmacht entschuldigt, der wirkungsvolle Tod wird moralisch nicht verlangt. Schon Platon hielt es für selbstverständlich, in Unheilzeiten verzweifelter Zustände sich zu verbergen und zu überleben.

          Warum sollte auch die bloße Schuldzuweisung nur Selbstzweck sein? Das wäre unzureichend und destruktiv. Sie aber anzuerkennen, ist die Grundlage in solchen Unheilzeiten zu handeln. Die Konsequenz von Jaspers Schulddefinition ist daher nicht etwa in Selbstbestrafung zu suchen, sich vor dem Schlafengehen mit der Neunschwänzigen Katze zu züchtigen oder im Büßerhemd mit gesenktem Haupt herumzulaufen. Weit entfernt von jeglichem Masochismus schärfen seine Schuldbegriffe vielmehr die selbst- und vor allem staatskritische Betrachtung, unter Abwägung von einschreitender Tat und Selbstgefährdung. Es ist daher eine alchemistische Chance aus der Schuld eine Tugend zu machen, die gegen Unrecht vorgeht und nach Überstehen der Unheilzeit durch Erinnern und Mühen um Wahrheit zu mehr Menschlichkeit und Menschenrecht verhilft. Diese Chance, das Verdeutlichen ihrer, verdanken wir dem großen Philosophen und Humanisten Karl Jaspers!
         
      P.S.: Eigentlich wäre das ein gutes Schlusswort gewesen. Aber wenn ich an diesen kleinen quadratischen Schnurrbart denke, und die dazugehörige Gesinnung, die einen ins Grübeln kommen lässt, ob der Besitzer mehr Tragödiant oder Komödiant gewesen ist, möchte ich doch Jaspers das letzte Wort überlassen: Daher ist eine doppelte Schuld: erstens sich überhaupt einem Führer bedingungslos zu ergeben und zweitens die Artung des Führers, dem man sich unterwirft.
      → auch Stig Dagerman / Erwin Dold / Diet Eman & Hein Sietsma / Gert Fröbe / Kurt Gerstein / Fred K. Prieberg / Joseph Wulf

     

  • Antonio Carlos Jobim
    Die Menschen trauerten mehr als beim verlorenen Weltmeisterschaftsendspiel 1950 gegen Uruguay im eigenen Land. So ähnlich beschrieb eine Freundin in Rio de Janeiro (die zufälligerweise eine Wohnung am Strand von Ipanema hatte) die Reaktion der Cariocas auf die Nachricht vom Tod "Tom" Jobims 1994. Und das muss bei den Fußball-besessenen Brasilianern wirklich was heißen ...

          1958: Das Jahr, das Brasilien musikalisch auf den Kopf stellte und die Bossa-Nova-Welle mit Jobims Chega de Saudade und Desafinado in der Fassung des noch unbekannten João Gilberto alles überschwemmen und nachhaltig verändern sollte, auch den Rest der Welt. So lernte auch ich mit Garota de Ipanema Jobim lieben, das nach Yesterday von den Beatles als das meistgespielte Lied der Welt gilt; unnötig alle seine Hits aufzuzählen ... zu viele ... zu bekannt ... Und dabei sind es nicht nur die wunderbaren Melodien, es ist auch die Architektur, das harmonische und formale Gerüst seiner Lieder, das sie so eigen macht. Das spürt man u.a. besonders bei Retrato em branco e preto, Olha Maria, Modinha und Bôto, die er zusammen mit Vinicius de Moraes, Chico Buarque und Jararaca geschrieben hat. Darüberhinaus haben sie noch eine der fantastischten chromatischen Melodie-Wendungen, die die brasilianische Musik zu bieten hat.
          Noch betonter jedoch ist der musikalische Grundriss des ehemaligen Architektur-Studenten auf seinem Album Jobim (1973), bei dem Claus Ogerman die Arrangements "komponiert" hat und eine außergewöhnliche symphonische Symbiose zwischen Jobims Musik und klassischen Einflüssen gelungen ist, wie auf keiner anderen Platte in der fast 20-jährigen Zusammenarbeit dieser musikalischen Blutsbrüder. Man spürt, dass sich Jobim hier noch zu Größerem berufen fühlte, als "nur" ein schönes Lied nach dem anderen zu schreiben ...

          Aber warum sollte man versuchen die Größe eines Genies mit musikologischen Erklärungen zu begründen, wo doch die Brasilianer selbst die beste Antwort gegeben haben: Jobim mit schwärzeren Tränen zu beweinen, als die Fußball-Niederlage am Tag ihrer bisher größten nationalen Katastrophe.
          Mit der Musik ins Herz zu treffen, ist mindestens so schön wie mit dem Ball ins Tor ...
    → auch Carly Simon (2008: This Kind of Love)

     

  • Ismail Khatib
    Sein 12-jähriger Sohn Ahmed spielte am liebsten Gitarre und mit seinen Freunden gerne Krieg. Als ein israelischer Soldat jedoch sein Spielzeuggewehr für eine Kalaschnikow hielt, war es kein Spiel mehr ...
          Ismail, ein Palästinenser, entschied mit seiner Frau im Moment des größten Schmerzes, 6 Organe ihres verstorbenen Sohnes zu spenden, egal ob an Christen, Muslime oder Juden. Erhalten haben sie israelische Kinder ...
          Wieviel Liebe muss man in sich haben, um den Hass anderer so entwaffnen zu können? ...

      Zwischenblende
      Irgendwann im alten Jahrtausend, irgendwo in Israel, irgendein Selbstmordattentat, wieder ums Leben beraubte Unschuldige ...
      Einem Nahost-Journalisten wurde die auf einen fanatischen Hintergrund abzielende Frage gestellt, warum immer wieder Selbstmordattentäter ihr Leben einsetzen. Dieser antwortete unerwartet und abgeklärt Weil sie außer ihrem Leben nichts anderes haben, und verwies auf die z.T. katastrophalen Lebensbedingungen vieler Palästinenser. Diese Antwort habe ich bis heute nicht vergessen ...
      ... außer ihrem Leben nichts anderes haben? ...
      Stell dir vor, es ist Krieg, und alle geh'n ins Kino! ...

          ... Nach dem Tod seines Sohnes engagierte sich Ismail mit einigen anderen für die Wiedereröffnung eines heruntergekommenen Kinos, damit das, was Ahmed passiert ist, nicht anderen passiert. Es hatte seinen Betrieb vor über 20 Jahren eingestellt und ist weit und breit das einzige in der 50.000-Seelen-Stadt Jenin im Westjordanland. Damit gab er den Palästinensern noch etwas anderes, das sie nun außer ihrem Leben hatten ...
    ... und sein Herz, und das seines Sohnes für den Frieden beider Völker, Palästinenser und Israelis.

      P.S.: Dieser Beitrag war gerade fertig, als die Medien berichteten, dass das Kino abgerissen worden sei ...
      Und dennoch: Es blieben 6 Jahre ein Stück weniger Krieg und Terror.
      → auch Jimi Hendrix / Daniel Barenboim

     

  • Omar Khayyam
    Vor fast 1000 Jahren in Persien ...

    ... errechnete der Astronom und Poet Omar Khayyam die Länge des Sonnenjahres mit 365,24219858156 Tagen (365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten, 46 Sekunden), und wich damit gerademal mit einer Sekunde von der heutigen Berechnung ab! Wer ohne die heutigen Möglichkeiten auf die 11. Dezimalstelle genau die Welt erklären kann, kann auch ebenso gut – und für ewige Zeiten gültig – die Liebe erklären, die einzige Religion, die wir brauchen ...

      Although the creeds number some seventy-three,
      I hold with none but that of loving Thee;
      What matter faith, unfaith, obedience, sin?
      Thou'rt all we need, the rest is vanity.

      (Obwohl es etwa 73 Religionen gibt,
      Halt ich's mit keiner, als dass ein Mensch dich liebt;
      Was soll Glaube, Unglaube, Gehorsam, Sünde?
      Du bist alles was wir brauchen, der Rest sind eitle Pfründe.)

     

  • Michel Legrand
    Gil Evans

     

  • John Locke
    Don't follow tradition or social convention. Think for yourself, look at the facts, and base your views on how things actually are.
    (Folge nicht Tradition oder gesellschaftlicher Konvention. Denke selbst, schau Dir alle Fakten an und stütze deine Ansichten darauf, wie die Dinge wirklich sind.)

      Reverse Bedienungsanleitung:
      Wer Leithammel und Herdentrieb braucht,
      wer Teil einer amorphen, glibbrigen Masse sein will,
      wer mit opportunen Schleim die Lücken büßen läßt,
      der sollte John Lockes Zitat überlesen und sofort jegliche Hirnaktivität einstellen.
      → auch Kurt Tucholsky

     

  • Paco de Lucia
    Klassik zu verjazzen, verpoppen oder sonstwie zu vercrossovern, geht oft in die Beinkleidung. Pacos Flamencoisierung von Manuel de Fallas Musik (1978) aber, führt sie dahin zurück, wo Falla sie hergenommen hat: Aus der Folklore seines Landes. So genial Falla diese in seinen Werken verarbeitet hat, so genial hat Paco wiederum hiermit die Folklore bereichert, womit sich der Kreis schließt: Ein künstlerisches Perpetuum Mobile.

     

  • Martin Luther
    ... steht hier nicht für seine umstrittene Haltung zu Thomas Müntzer, oder zum Bauernkrieg, oder gar für seinen Antisemitismus. Luther steht hier für seine Courage gegen den Ablasshandel der Kirche angegangen zu sein, trotz drohender Folter und Scheiterhaufen. Wahrscheinlich muss man den Mut eines Narren oder Don Quijote haben, um so Großes zu leisten und sich gegen selbsternannte und -gefällige "Götter" auf Erden und ihrer pervertiert und kapitalistisch verdrehten Interpretation der Bibel entgegenzustellen: Sünden-Flatrate gegen Gebühr. Und erinnert uns der ein halbes Jahrtausend alte Ablasshandel nicht an den heutigen Abgashandel? Wer wird nun unser Luther sein? ...
          Außerdem steht er hier als einer der ersten bedeutenten Demokraten der Neuzeit, der dem Volk die Bibel ins Deutsche übersetzte und ihm damit die eigene Interpretation der Heiligen Schrift ermöglichte. Und dann ist da noch seine in auswegloser Situation mutmachende Philosophie:

    Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.

    Auch wenn dieser Spruch in historischen Quellen nicht belegt ist, belassen wir es in dem Glauben daran. Diese Legende ist zu schön um gelöscht zu werden ...

     

  • Johnny Mandel
    Was für ein Opener: Die atemberaubenden Bilder von Big Sur aus der Vogelperspektive und dazu The shadow of your smile in diesem stimmungsvollen Arrangement. Die Magie dieses Vorspanns lässt einen weder den Film The Sandpiper (1965; mit Elizabeth Taylor und Richard Burton), noch die pittoreske Landschaft, und am aller wenigsten den Song vergessen. Seitdem verbinde ich Johnny Mandels Musik immer mit einem Zauber, den ich kaum nüchtern und analytisch zu erklären vermag, wohl auch gar nicht möchte. Vielmehr suche ich nach den Musikern, die ihren Zauber dazugeben ...

          Besonders Bill Evans hatte Mandel oft im Programm: Das 1. Mal 1967 auf seinem Album Further conversations with myself gleich mit 2 Titeln: The shadow of your smile und Emily aus dem Film The americanization of Emily (1964; mit James Garner und Julie Andrews). Besonders dieser Song hatte es Evans angetan, und er spielte ihn so häufig, wie keinen anderen von Mandel. Für mich – als Bill-Evans-Fan – wurde seine Fassung zur Vorlage einer Bearbeitung für Gitarre, die ich oft in Konzerten gespielt habe und nicht nur mir gefallen hat.
          2 Stücke von Mandel sind auch auf den für mich besten Trio-Platten von Evans – mit einem überragenden Eddie Gomez (b) und Eliot Zigmund (dr) – zu hören: Seascape (I will say goodbye, 1977/80), ein wunderbarer, geradezu choralhafter Walzer, welchen ich sonst nirgends gehört habe und der zu einem meiner Favoriten wurde. Das andere ist Suicide is painless (You must believe in spring, 1977/81) aus dem Film M.A.S.H (1970; mit Donald Sutherland und Elliot Gould). Song wie Text scheinen in ihrer soften Harmlosigkeit zunächst gar nicht zu der makabren Militär-Satire zu passen, die alles andere als soft und harmlos ist. Diese Diskrepanz zwischen seichter Musik und kriegsalltäglicher Szenarien war von dem Regisseur Robert Altman jedoch gewollt. Deshalb bat er Mandel um den dümmsten Song, der je geschrieben worden ist. Einen entsprechend "dummen" Liedtext überließ Altman seinem 15-jährigen Sohn Mike, da er sich selbst mit 45 Jahren außerstande sah, "dumm" zu texten. Auch das gelang, und so traf dieser Song genau ins Schwarze. Es muss schwer sein für einen großen Komponisten gekonnt blöde zu schreiben ...
          Evans entzieht sich geschickt der "schönen Banalität" dieses gerademal 18-taktigen Stückes, indem er 8-taktige, transponierende Intermezzi zwischen den Chorussen einschiebt und – was für Evans selten ist – mit einem etwas rockig, binär groovenden Beat begleiten lässt. Darüber zaubert er mit seiner typisch harmonischen Farbigkeit und Vielstimmigkeit das Beste aus dem Song, dem nun jegliche Banalität abhanden gekommen ist. Eine geniale Interpretation!

          Auch A time for love aus dem Film An american dream (1966) lernte ich in der ebenfalls fantastischen Fassung von Evans kennen (Alone, 1968/70), entdeckte später die Version von Tony Bennett, dem großen Sänger von Mandels Songs, welche die beste ist (A time for love, 1966). Nur Barbra Streisand kann mit ihrem hier sehr nuancierten Gesang mithalten (Love is the Answer, 2009), wobei – nebenbei bemerkt – auch das Gitarrenintro und -solo von Anthony Wilson sehr hörenswert ist. Aber zurück zu Bennett: Die schon erwähnten Songs The shadow of your smile und Emily, beide auf seinem Album The movie song album (1966), sind auch hier die besten Gesangsfassungen, die Mandel selber feinsinnig arrangiert hat, wie auch Bennetts und Streisands Fassungen von A time for love.

          Sein großes Können als Arrangeur zeigte Mandel noch auf etlichen anderen Aufnahmen, von denen das Album Brasil (1981) mit João Gilberto, Caetano Veloso und Gilberto Gil eine Rarität ist, denn wann kann man schon diese 3 Größen der brasilianischen Musik auf einer Platte hören? Und bei orchestralem Arrangement fällt einem eher der mit brasilianischer Musik vertraute Claus Ogerman ein, der schon etliche hervorragende Platten für Jobim und ebenso für João Gilberto gemacht hat. Dabei ähneln sich Mandel und Ogerman mit ihrer subtilen und sensitiven Tonsprache. Bei Ary Barrosos Klassiker Aquarela do Brasil ist die Behandlung der Streicher und Querflöten so ähnlich, dass ich Mandel nur an dem dezenten Glocken- und Harfenspiel erkenne, der beides zwar nicht immer, aber immer wieder gerne eingesetzt hat. Der Sound wird dadurch leichter, transparenter, und auch im besten Sinne verspielter. Neben dem überstrahlenden Gesang von Gilberto, Veloso und Gil wird Aquarela do Brasil so zu einem völlig neuen Erlebnis.
          Sehr hörenswert sind auch Mandels Arrangements auf The christmas album (1992) von Manhattan Transfer, besonders seine Komposition A christmas love song. Auch hier findet sich die Harfe und das Glockenspiel wieder, und dieses Mal eine halbakustische Gitarre, die den Sound noch transparenter macht. Ein Album, das nach Mandel, so schreibt er in den Liner Notes, nicht wie viele andere in Zement gegossenen Weihnachtsplatten klingen sollte, sondern frisch. ... That's it!

     

  • César Camargo Mariano
    Elis Regina

     

  • Abel Meeropol
    Sein Lied Strange Fruit über die Bäume in "Dixieland" mit ihren seltsamen schwarzen, im Wind baumelnden Früchten, ist das wohl beeindruckendste Lied gegen Rassismus, besonders in der unbeschreiblichen Fassung Billie Holidays, die viele nachfolgende Musiker inspirierte.
          So wenige Worte, und doch so gewaltig ...
    → auch Miles Davis / Marilyn Monroe

     

  • Marilyn Monroe
    Disneyland liegt neben Dixieland, Uncle Sam ist der Nachbar von Jim Crow, ... und Marilyn die Freundin von Ella Fitzgerald ...

          1955 werden Ella Fitzgerald, Dizzy Gillespie und Illinois Jacquet nach einem Konzert unter einem (rassistischen) Vorwand von der Polizei festgenommen, die, nebenbei bemerkt, dann noch die Nerven hatte nach einem Autogramm zu fragen.
          Im selben Jahr machte auch der Jazzclub Mocambo in Los Angeles Ella Probleme: Sie durfte wegen ihrer Hautfarbe nicht auftreten. Und so rief Marilyn persönlich den Besitzer an, dass er doch Ella singen lassen möge. Sie selbst würde dann jeden Abend einen Platz in der ersten Reihe nehmen. Der Besitzer stimmte zu, und Marilyn war da, jeden Abend, erste Reihe. Auch wenn sie ein großer Fan von Ella war, deren Platten sie immer und immer wieder studierte und ihre einzigartige Stimme somit auch Ella zu verdanken hatte, war es doch diese Ungerechtigkeit, die sie hier in einem "kleinen Moment" zu einer Bürgerrechtlerin machte.

          So ein Moment war es auch – wir sind noch im selben Jahr –, der Rosa Parks bekannt werden ließ: Ihre Weigerung einen "weißen" Sitzplatz im Bus zu räumen, trug maßgeblich zu der Bürgerrechtsbewegung bei, die das Ende des staatlich verordneten Rassismus durch die Jim-Crow-Gesetze im Jahr 1964 herbeikämpfte, fast 100 Jahre nachdem die Sklaverei mit Ende des amerikanischen Bürgerkrieges 1865 abgeschafft worden war. Auch wenn die Unterdrückung der Schwarzen ab 1964 damit noch längst nicht verschwunden war, gab es jetzt wenigstens eine rechtliche Grundlage Uncle Sam und Jim Crow zu verklagen.

          Nach Marilyns Zurechtrücken der Menschenrechte im Mocambo, sagte Ella über sie, dass sie tief in ihrer Schuld stehen würde und sie eine außergewöhnliche Frau sei, ihrer Zeit weit voraus, nur dass sie es nicht wisse ... Vielleicht wusste es Marilyn wirklich nicht, und auch nicht was sie tat, aber sie hat es gefühlt, gefühlt das Richtige zu tun. Und das ist viel mehr, als es nur zu wissen ...
    → auch Miles Davis / Abel Meeropol

     

  • Naima
    Sie war etwa 13, saß mit ihrem deutlich jüngeren Bruder in einer der hinteren Reihen und ihr Lächeln überstrahlte die Zuhörer, die Kirche ... und meine Konzentration. Nach dem Konzert kam sie mit eben diesem Lächeln und ihrem Bruder zu mir, und sagte in gebrochenem, aber verständlichem Deutsch, wie sehr es ihr gefallen und wie schön ich gespielt hätte. Es sei ihr wichtig, dass ich es weiß ...

          Mein Freund Klaus, der auch Veranstalter war, sagte mir, sie sei vor einem halben Jahr mit ihren Eltern aus Afghanistan geflohen und hätte erst hier deutsch gelernt. Meine Betroffenheit über ihre möglichen Erlebnisse dort, und ihre Worte zu meinem Lautenkonzert hier, ließen mich den Moment nicht gleich erfassen. Das geschah erst viel später: Dass man Krieg, Terror und eine Flucht ins Ungewisse nicht nur in vom Schmerz gezeichneten Gesichtern sehen kann, sondern auch in reinen, leuchtenden und glücklichen Augen, wie in einem Spiegel, der die Dinge verkehrt herum zeigt. Ich will nicht den "Zauber des Morgenlandes" anstrengen, aber dieser Moment war einer der magischten, die ich in meinen Konzerten erlebt habe. Auf jeden Fall aber war es ein Kompliment, das mir sehr viel bedeutete ...
          Nun habe ich eben viel zu spät geschaltet und ärgere mich bis heute, dass ich ihr nicht wenigstens eine CD geschenkt habe um ihr meine Dankbarkeit zu zeigen. Ich weiß noch nicht einmal ihren Namen. Deshalb nenne ich sie Naima, ein afghanischer Name, der übersetzt für das steht, was ich in diesem kurzen Moment in ihr gesehen habe: Liebenswürdigkeit, Ruhe, Besonnenheit, Glück, Grazie, Sorglosigkeit, Paradies, Stern, und ... die Kleine ... Zum Glück gibt es John Coltranes wunderbare "Übersetzung" aus dem Afghanischen ins Musikalische, und seine Komposition Naima kann ein ewiges Geschenk für sie sein ...

      P.S.: Ein Tag nachdem dieser Beitrag im Netz war, berichten die Medien, dass die EU und Deutschland afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland abschieben wollen. Das Land sei ja sooo sicher ... Wo ist Naima?

     

  • Fridtjof Nansen
    ... der als Pionier die erfolgreichen Polarexpeditionen ... erst möglich machte (Roald Amundsen)
          Seine Größe ist also unbestreitbar, wenn der Entdecker des Südpols und der Nordwestpassage das sagt. Schließlich hatte sich Amundsen auch die von Nansen entworfene Fram ausgeliehen, das tauglichste und wohl berühmteste Polarschiff. Aber Nansens Größe ist auch in seinen feingeistig und spannend geschriebenen Büchern über die Expeditionen durch Grönland und zum Nordpol erkennbar, die ich als Aficionado arktischer Welten natürlich gelesen habe. Mein Interesse war also geweckt, und so "entdeckte" ich den großen Menschen, der den Forscher sogar noch übertreffen sollte, und der u.a. Marc Chagall, Igor Strawinsky, Sergei Prokofiev, Serge Rachmaninoff, Robert Capa, Aristoteles Onassis, Rudolf Nurejew und Anna Pavlova eine neue Heimat gab ...

    ... ein großer Mensch (Gerhart Hauptmann)
          Seine humanitären Leistungen begannen, als er das gewaltige Leid der Kriegsgefangenen, -flüchtlinge und -heimkehrer des 1. Weltkrieges sah. Und so nahm er 1920 den Auftrag des Völkerbundes an, Kriegsgefangene – vor allem aus Russland – rückzuführen. Und als ob er erneut Grönland und den Nordpol bezwingen wollte, entwickelte sich der charismatische Nansen zum eigenwilligen und vereinnehmenden Enfant terrible des Völkerbundes. So konnte er 7 Millionen Menschen aus verschiedendsten Ländern retten. Doch damit nicht genug ...

    Nächstenliebe ist die einzig mögliche Realpolitik (Fridtjof Nansen)
          1921 forderte Lenin per Dekret alle im Ausland lebenden Russen auf, innerhalb von 3 Monaten das neue Regime anzuerkennen. Falls nicht, würde ihnen die Staatsangehörigkeit aberkannt. Eine in der Geschichte bisher einmalige Maßnahme ... Über 1 Million Russen wurden so zu entrechteten Exilanten. Durch den von Nansen entworfenen und nach ihm benannten Pass (1922) wurden sie aber wieder zu Mitgliedern der Weltgemeinschaft. Später erhielten den Nansen-Pass auch die Armenier, deren Schicksal – der Völkermord durch die Türken an dem armenischen Volk – für Nansen die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte gewesen ist, worüber er eindrücklich in seinem Buch Betrogenes Volk (1928) schreibt. Weitere Völker erhielten später auch diesen Pass.

    Mit "wütender" Menschlichkeit (Ich)
          ... setzte sich Nansen für Menschen und gegen ihre Not ein. Er wütete mit Worten, aber vor allem mit Taten in seinem Krieg, in dem es keine Toten gab, sondern nur Überlebende – der Sieg seiner Wut. Echte und "ehrenvolle" Kriege kann man nur ohne Waffen und mit Menschlichkeit gewinnen. Wer Waffen jedoch einsetzt, verrät sich als schwach und krank.
          1922 erhielt Nansen den Friedensnobelpreis für seine gesunde Stärke ...

     

  • Peter O'Toole
    Nachdem er von Freitag und seinem Volk zurück auf seine Insel verbannt wurde, von der er sich kurzzeitig gerettet wähnte, geht Robinson in seine Hütte, sieht sich ein letztes Mal sein in jahrzehntelanger einsamer Arbeit entstandenes Werk an, und singt in verblasster Erinnerung an seine englische Heimat in kaum vernehmlichen Fragmenten Thomas Morleys It was a lover and his lass. Hoch über dem Meer setzt er sich in der Abenddämmerung auf seinen selbstgefertigten Schaukelstuhl, lädt die mannshohe Muskete ... with a hey, and a ho, and a hey ..., hält die Mündung an seinen Kopf und drückt mit dem Zeh ab ...
    Schluss-Szene aus dem Film Freitag und Robinson.
          Wäre diese Szene nicht durch die Zwischensequenzen mit der völlig unpassenden Filmmusik unterbrochen, dann würde einen diese Szene und Peter O'Toole zerreißen. Einsamkeit, die man hören kann ...

     

  • Rosa Parks
    Marilyn Monroe

     

  • Joe Pass
    ... und übergab mir Joes neueste Platte Virtuoso #2. Ich war beschämt über dieses große Geschenk, freute mich aber riesig, weil dieser 16-jährige sehr lange darauf hätte sparen müssen und sein guter Freund der Meinung war, dass er sie jetzt haben müsse ...

          Ich war hin und weg über diese unglaubliche Gitarre: Bass, Akkorde, Melodie, und zwar fast immer alles gleichzeitig! Aber ich hörte richtig, denn auf der Platte wurde der vermutete 2. oder gar 3. Gitarrist nicht erwähnt und auf dem Foto sah man auch nur 2 Hände mit 10 Fingern ... Das wollte ich auch können und nahm mir Erroll Garners wunderbare Ballade Misty vor und hörte dieses über 5 Minuten lange Stück, für das man mehr als 2 Hände und 10 Finger brauchte, Ton für Ton 'raus, bis ich die Cassette, auf die ich die Platte aufgenommen hatte um diese zu schonen, entmagnetisiert hatte. Das war eine der besten Lehrzeiten, die ich in meinem Musikleben gehabt habe! Aber noch mehr als diese überirdische Technik sollte mich schnell die intime Stimmung dieser besten aller seiner Platten begeistern. Technik ist messbar, Spiritualität aber maßlos ...

          Sein guter Freund Klaus Richter versorgte ihn mit vielen sehr wichtigen Platten im Jetzt, hatte ein untrügliches Gespür für "Große Musik", und traf immer den Moment, in dem der 16-jährige seinen künstlerischen Eisprung hatte und besonders empfänglich war für diese Befruchtungen, aus denen lebensbegleitende Kinder wurden.

     

  • Zizi Possi
    ... hat eine eigene Seite: Zizi Possi

     

  • Fred K. Prieberg
    Als ich mit knapp 20 Jahren sein Lexikon der Neuen Musik (1958) erwarb, wusste ich noch nicht, welch bedeutendes Werk ich da in Händen hielt. Die vielen unbekannteren Komponisten und Details machten mich neugierig, denn in den gängigen Lexika waren sie kaum zu finden. Auch sein Schreibstil war angenehm persönlich, ohne deshalb aber unsachlich oder gar verklärend zu sein. Und in dem Artikel Kulturpolitik bekommt wohltuend und entlarvend jedes totalitäre Regime sein Fett weg, fernab von jeglicher ideologischen Parteinahme. Kurz: Man gewann schnell den Eindruck, dass dieser Autor eigene Wege geht und an dem Musikbetrieb vorbeischreibt. Und dieser erste Eindruck sollte sich mehr als bestätigen ...

          Priebergs Standardwerk Musik im NS-Staat (1982) war die erste systematische Arbeit zu diesem Thema, die er Joseph Wulf widmete, der sich bereits 1963 mit seinem Buch Musik im Dritten Reich an das Thema heranwagte. Man musste schon sehr eigen sein, um über die Kollegen zu schreiben, die im Dritten Reich ihr Unwesen getrieben haben, und die nun wieder oder gar immer noch wichtige Positionen im Musikleben besetzen. Schließlich waren auch deren Enkel kaum prädestiniert ihre Meister an deren Vergangenheit zu erinnern.
          Priebergs unakademisches Studium war dafür beste Hilfe, aber auch Fluch und Segen zugleich: Kein Geringerer als Ludwig Finscher, Herausgeber der Neuen MGG – neben dem englischen Grove die bedeutendste Musikenzyklopädie – wertschätzte ihn zusammen mit Joseph Wulf auf einer Tagung (2000) ab. Seine Arbeiten seien defizitär mit ungesicherter Materialbasis usw. Für jemanden, der vom akademischen Betrieb abhängig ist, hätte dieser Veriss eines so einflussreichen Multiplikatoren das berufliche Aus bedeuten können, mindestens aber eine Erschwernis. Zum Glück aber blieb Prieberg diesem Betrieb fern genug, als dass es ihm etwas anhaben konnte. Zumal diese Kritik auch haltlos ist und zunehmend vor allem von jüngeren Musikwissenschaftlern als ungerechtfertigt angesehen wird. Und außerdem: Wo waren denn die Musikwissenschaftler, die diese Zeit angeblich besser hätten aufarbeiten können und vor allem eher? Wahrscheinlich konnte nur ein Eremit, der frei von all diesen Verstrickungen gewesen ist, diese Aufgabe bewältigen ...

      Die Abwesenheit von Menschen bedeutet das größte Maß an Freiheit. ... was für ein Segen es ist, nie gestört zu werden ... das ist ein so ungeheuerliches Geschenk, und das habe ich mir gegönnt.
            Und so lebt Prieberg nach seinem Credo zurückgezogen als Eremit in dem 200 Jahre alten Einödhof im Wald in den Vogesen. Der Winter verhilft ihm umso mehr dazu, wenn er über Wochen eingeschneit ist. Und wenn er nicht arbeiten möchte, beschäftigt er sich mit der Natur und den Tieren des Waldes. Eine Freiheit, die man für ein Lebenswerk, wie sein fast 10.000 Seiten starkes Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945 (2005) wohl auch benötigt. Kann es einen anderen Weg geben, wenn man sich mit der 12-jährigen Naziherrschaft und ihren Nachwehen mit den nazistischen Schweinereien beschäftigt?

      Es gab keine Stunde Null. Dies ist eine Erfindung gewisser Historiker. Es ging alles so weiter wie bisher, nur mit mehr oder weniger ausgeprägter Tarnung.
            Tarnung von Musikern, Komponisten, Wissenschaftlern u.a., die sich hinüber in die Demokratie "retten" wollten, und oft auch konnten. Denn sie besaßen sehr einflussreiche Positionen und Beziehungen. Wer hier aber gegen angeht, widersteht, ist in diesem Sinne ein Widerständler, ein Nachkriegswiderständler ... wie Prieberg.

          In meinem Artikel (2010) über den im Dritten Reich NS-verstrikten Musikwissenschaftler Wolfgang Boetticher, der bis Ende der 1990er Jahre in Deutschland in wichtigen Lehrämtern und publizistisch tätig sein konnte, schrieb ich in der Danksagung:

    Unser aller Dank gebührt den Wissenschaftlern, die unabhängig vom akademischen Betrieb und damit unter Inkaufnahme von beruflichen und "kollegialen" Hindernissen die Wahrheit suchen ...

    Und das trifft auf kaum einen anderen so zu, wie auf Fred K. Prieberg ...
    → auch Stig Dagerman / Erwin Dold / Diet Eman & Hein Sietsma / Gert Fröbe / Kurt Gerstein / Karl Jaspers / Joseph Wulf

     

  • Elis Regina
    Com a majestade da Elis ..., so beschreibt João Bosco in seinem Lied Viena fica na 28 de Setembro die bedeutendste Sängerin Brasiliens.
          Waren die ersten Aufnahmen noch von Pimentinhas quirligem Temperament geprägt, wurde ihr Gesang ab den 1970ern nuancierter, was nicht zuletzt auch ihrem Mann César Camargo Mariano zu verdanken ist, der mit seinen Arrangements ihrem unbändigen Ausdruckswillen eine Freiheit gab, die ihr nun die Größe erlaubte, die sie schon immer in sich trug. Und es waren die Lieder der neuen, oft noch unbekannten Liedermacher wie João Bosco, die ihr dieses unverwechselbare Profil gaben: Die subtile Textausdeutung und die dazu nötige Palette von Emotionen, die von glühendem Temperament, über paralysiertem Phlegma, bis hin zu melancholischer Todtraurigkeit reichte. Manches erinnert dabei, betont durch Gestik und Mimik, an die überstrahlende Theatralik von Edith Piaf, auch wenn musikalisch Welten zwischen ihnen lagen. Elis konnte jedenfalls genauso über die Bühne herrschen und die Sinne mit ihrem farbenreichen und majestätischen Gesang auf sich ziehen, wie eine Rainha (Regina) da música brasileira. Mit allem was sie sang, schien sie immer über 100 Prozent zu geben, selbst dann, wenn das Leben nicht mehr herzugeben schien. Und mit 36 Jahren war es dazu auch nicht mehr bereit ...
    → auch Carly Simon, 1978: Boys in the Trees

     

  • Klaus Richter
    Joe Pass

     

  • Anke Richter Teubler
    Am Meer zieht es den Blick auf den Horizont, der immer eine klare Form und umwerfende Farbgebung hat. Und wenn ich nicht am Meer bin, schaue ich auf die Bilder der Künstlerin und Freundin ...

     

  • Rolling Stones
    Sie waren das erste musikalische Feuer, das ich gefangen hatte und dazu meine ersten Gehversuche auf der Gitarre gemacht habe. Ich versuchte ihre Melodien und die Solos von Keith Richard oder Mick Taylor nachzuspielen, lag oft daneben, entdeckte aber, dass die falschen Töne trotzdem gut klangen und so begann ich zu improvisieren bevor ich Noten konnte, was mein Gitarrenleben für immer prägen sollte ...
          Besonders die Platten in der "Mick-Taylor-Phase" (1969–74), wie ich sie nenne, hatten es mir angetan: Sticky fingers, Exile on main street, Goats head soup und It's only Rock'n Roll. Wenn auch von vielen diese Phase als die wichtigste angesehen wird, wäre es sicherlich übertrieben das alleine Mick Taylor zuzuschreiben, obwohl sein Einfluss groß und sein Spiel eine ebensolche Bereicherung war. Es kam eben vieles zusammen: So prägte auch Billy Preston diese Phase mit souligem und funkigem Flair. Die Veranstalterlegende Fritz Rau sagte mir mal (auf einer Fortbildung, zu der ich ihn zu einem Vortrag eingeladen hatte), dass er Preston sogar für den 6. Stone hielt und unterstrich seinen großen Einfluss. Eine treffende wie bildhafte Beschreibung. Ferner war die Nähe der Stones zum Folk – vor allem auf Exile on main street – sehr groß. Dieser symbiotische Stil-Mix machte ihre Musik zu einem multidimensionalen und grenzensprengenden Erlebnis.
          Meisterwerke sind für mich aber auch die früheren Alben Beggars Banquet (1968) und Aftermath (1966), wogegen ich weder mit den sehr frühen Stones etwas anfangen kann, noch mit den späteren und mir allenfalls das erste Album mit Ron Wood (Black and Blue, 1976), der Taylor ersetzte, gerne gefallen lasse. Danach fehlten jedoch neue musikalische Akzente und der Eindruck entstand, dass sie sich nun lediglich auf das Covern ihres Stils beschränken. Aber warum auch nicht: Sie hatten schließlich Großes geleistet und sind bis heute mit den Beatles die einflussreichste Band im Rock und Pop.
          Ähnlich wie bei der Liverpooler Konkurrenz war es auch hier eine schicksalhafte Begegnung von begabten Musikern, wo jeder auch für sich gut ist, sie aber nur miteinander so groß und genial werden konnten. Das sind äußerst seltene Glücksmomente in der Musikgeschichte!

     

  • Edward Said
    Daniel Barenboim

     

  • Charles M. Schulz
    Vince Guaraldi

     

  • Hein Sietsma & Diet Eman
    Diet Eman & Hein Sietsma

     

  • Carly Simon
    ... wurde wegen Überlänge auf eine andere Seite verbannt: Carly Simon

     

  • Michel Simon
    Der Hausierer Jacques in dem Film Es geschah am hellichten Tag war nur eine kleine Nebenrolle, aber eine, die in Erinnerung bleiben sollte, und das neben einem ebenso genial agierenden Heinz Rühmann und Gert Fröbe, die hier eine ihrer besten Rollen hatten. Schließlich war Simon schon seit Stummfilmzeiten eines der bedeutendsten Urgesteine und -gewalten des (französischen) Films. Wie der o.g. Film wurde Simon auch durch seine alles vereinnehmende Leistung in Der alte Mann und das Kind dem deutschen Publikum bekannt, einem in jeder Hinsicht wunderbaren, wenn auch leider völlig verschnittenen Film. Aber er überstrahlt alles, gestern ... wie heute ... und morgen ...

     

  • Sissa ibn Dahir
    Irgendwann vor 30 Jahren ...
    ... haben wir angefangen zu zählen und nun steht es 80 zu 80. Gefühlt aber spielen wir seit unserer Geburt das "Spiel der Spiele" und das Ergebnis zeigt, dass sich 2 gefunden haben, deren (Un-)Vermögen gleich groß ist und das beide das Gesicht und ihre Freundschaft wahren lässt, auch wenn wir uns beim Spielen nichts schenken ...

    Der König ist der Herrscher, aber ohne sein Volk ist er nichts.
    Das ist nur eine von etlichen Weisheiten, die wir dem Schachspiel zu verdanken haben. Der Legende nach ist der Inder Sissa der Erfinder des Schachspiels, auf den auch die berühmte Weizenkornlegende zurückgeht und die für die unendlichen Möglichkeiten dieses "Königsspiels" steht und wie kein anderes so fasziniert. Das Beherrschen der umfangreichen Theorie mag die Möglichkeiten endlicher machen, wichtiger aber ist die eigene Rechenleistung etliche Züge vorhersehen zu können. Es ist alles eine Frage von Aktion und Reaktion, wie in bio-chemischen Verbindungen, wie in zwischenmenschlichen Beziehungen und ihren unendlichen (Un-)Möglichkeiten. Und irgendwann hilft nur noch intuitive Psychologie und das Eindringen in die Psyche oder besser in das Seelenleben des Gegners, um die Erfolgsaussichten in zumindest homöopathischen Dosen zu steigern. Je weiter man sich in den Tiefen dieser Unendlichkeit verliert, kann ertrinken. Wer aber Wege findet, kann darin baden. Ab diesem Stadium ist das Spiel wie ein Spiegel des Lebens ...

    Schach ist wie ein See, in dem eine Mücke baden und ein Elefant ertrinken kann.
    Aus dem Willen zu baden und nicht zu ertrinken, wird, abgesehen von Theorie und Berechnung, eine Virtuosität in Reflektion und Empathie. Gute Schachspieler haben hier anderen etwas voraus. Sie müssen es "nur" noch leben ...

    Irgendwann vor 160 Spielen ...
    ... sind wir zusammen aufgewachsen und ich konnte Berni Horns gelebte Reflektion und Empathie (auch ohne unsere Schachkämpfe) schätzen lernen; eine Freundschaft eben, auch wenn sie über 160-mal auf die Probe gestellt wurde. Aber zum Glück gibt es ja noch unsere Remis-Partien, bei denen die Mücke mit dem Elefanten gemeinsam baden geht ...

     

  • Kurt Tucholsky
    Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!

     

  • William Walton
    Julian Bream

     

  • William A. Wellman
    Vorblende:
    ... 11-jähriges Mädchen 2012 in Emden ermordet ...
    ... vermeintlicher Täter (17) gefasst ...
    ... Lynchaufruf via facebook ...
    ... Mob von rund 50 Personen fordern vor Polizeirevier Beschuldigten ...
    ... wahrer Täter (18) gefasst ...
    ... selbsternannte Rächer entschuldigen sich ...

    Western sind wegen ihrer oftmals einfältigen Schwarz-Weiß-Malerei beliebt, sie werden von jedermann verstanden und sind darüberhinaus auch noch spannend und unterhaltsam. Mal ein "Colt-Darwinismus", mal eine "Winchester-Justiz", und schon glaubt man als Zuschauer alleine durch das Sehen des Films zu einem Stück Gerechtigkeit beigetragen zu haben. Auch ich gebe mich hin und wieder gerne dieser stupiden Illusion hin ...
          Selten aber hat mich ein Western so berührt wie Ritt zum Ox-Bow. Dem Regisseur William A. Wellman und den Darstellern Henry Fonda, Harry Morgan, Dana Andrews, Anthony Quinn u.a. ist es gelungen, einen tiefgründigen, vielschichtigen und in jeder Beziehung hervorragenden Film über Lynchjustiz zu machen, der trotzdem spannend ist und man bis zum Ende mitfiebert, dass nicht das geschieht, was man durch die Machart eines "Film Noir" sowieso schon ahnt ...
          Nach Sehen dieses eindrücklichen Films fühlt man sich ihm gegenüber verpflichtet, jeglichen Bestand oder Restbestand von Vorverurteilung zu eliminieren und den nüchternen Automatismus des "Hören wir uns beide Seiten an" zu manifestieren. Und dass der "Wilde Westen" weder geographisch noch temporär auf Amerika und das 19. Jahrhundert beschränkt ist, zeigt die obige Vorblende, ganz zu schweigen von den "Lynchpathologen" in anderen Ländern, in denen Terror durch Extremisten oder Staat an der Tagesordnung ist.
          1944 wurde dieser Film für den Oscar nominiert. Pech nur, dass Casablanca auch im Rennen war ...

     

  • Stevie Wonder
    Es sollte nicht nur sein größter Erfolg, sondern auch eines der wichtigsten Alben im außerklassischen Bereich werden: Songs in the Key of Life von 1976.
    An dem etliche Millionen teuren Doppelalbum waren bei der 2 Jahre langen Produktion über 130 Musiker beteiligt, was damit eher an eine große Oper erinnert als an ein Pop-Album. Aber auch künstlerisch kommt es wie eine durchkomponierte Oper daher, nur eben aus lauter (Soul-)Arien, die weniger vom Text her als durch die Musik dramaturgisch miteinander verbunden sind. So wirkt es jedenfalls, auch wenn zunächst lediglich der Titel der einzig rote Faden dieses Albums zu sein scheint, das manchmal auch als Konzeptalbum benannt wird. Sicherlich mag der ausgehandelte Vertrag mit Stevies Label Motown, der ihm volle künstlerische Kontrolle zusicherte dazu beigetragen haben. Es sollte jedenfalls sein größter und schönster "Spielplatz" werden: Man wird regelrecht erschlagen von den 21 Songs, wovon fast die Hälfte Hits geworden sind und als Singleauskopplung ebenfalls taugen. Die Harmonien und Changes sind dabei weder 08/15 noch II-V-I, sie sind magisch wie die Sieben. Sein Groove geht nicht (nur) in die Beine, er geht in Körper- und Seelenteile, von denen man bisher nichts wusste. Stevies erfundene Synthesizer-Sounds sind dabei so umwerfend wie Bachs Inventionen, und seine Melodien sind Herzenswärmer, die man im Gegensatz zu lästigen Ohrwürmern nicht mehr loswerden will.
          Doch man sollte sich in Acht nehmen und auf die Nebenwirkungen in einem Beipackzettel hinweisen: Wenn man verliebt miteinander verschmolzen dieses Album hört, ist man im Himmel, der noch viel schöner ist als der siebte. Sollte man aber nach dem Liebes-Aus immer noch das Album hören, vergehen Ewigkeiten mit Liebeskummer ... Ich habe jedenfalls allen Grund stinksauer zu sein auf Stevie!
    → auch Gil Evans

     

  • Joseph Wulf
    Zuerst durchlebte er im Widerstand den deutschen Terror, dann überlebte er Auschwitz, um danach bis zu seinem Lebensende ein allzu oft ungehörter Mahner zu sein ...

          ... warum gerade ein polnischer Jude als Außenseiter nach Deutschland kommen musste, um über "Musik im Dritten Reich" (1963) zu schreiben und warum dies bis heute kein deutscher Fachmann getan hat? So zitiert Fred K. Prieberg Wulfs kardinale Frage, die jedem Musikwissenschaftler der Nachkriegszeit eine Ohrfeige sein musste. Besonders die Musikwissenschaft tat sich im Vergleich mit den Wissenschaften anderer Künste bei der Aufarbeitung schwer, bis in die 1980er Jahre. So sollte Wulfs o.g. Arbeit erst lange nach seinem Tod Gehör finden, wie viele andere seiner Arbeiten zu NS-Themen, die lange Zeit niemand anfassen wollte. Ohnehin war die Stimmung im Land nicht nach Aufarbeitung und wurde gar von höchster Stelle als unerwünscht bezeichnet: Konrad Adenauers Äußerung ... wir sollten jetzt mit der Naziriecherei Schluß machen ... (1952 im Bundestag) ließ die Auseinandersetzung mit dem NS-Staat und der Verfolgung der NS-Täter ins Stocken geraten. Und das nur 7 Jahre nach dem bis dahin größten Menschheitsverbrechen der Weltgeschichte. Dabei hatten die Deutschen erst 1950, gerade 2 Jahre zuvor die uneingeschränkte Befugnis von den Alliierten zur Verfolgung der schweren NS-Straftaten erhalten, die die Besatzer bisher für sich beanspruchten. Und nun sollte man das alles vergessen? Viele der überlebenden Nazi-Opfer mussten diese Haltung als Nachkriegs-Verfolgung durch Totschweigen empfinden. Politisch, juristisch, wie vor allem aber moralisch eine verheerende Äußerung!
          Auch wenn Wulf durchaus den einen oder anderen Erfolg hatte, blieb er doch meist ungehört; zu früh, und seiner Zeit weit voraus, einer Zeit, die nachhinken wollte. Seinem Verpflichtetsein gegenüber dem Erlebten, leistete er Pionierarbeit und publizierte etliche Schriften zum Holocaust, die jedoch weder die erhoffte berufliche Stellung noch die verdiente Achtung erbrachten. Er war und blieb arm an Einkünften und Anerkennung. Durch den Tod seiner Frau – für ihn die größte Katastrophe nach Auschwitz – war er wie paralysiert und nahm sich ein Jahr später, 1974, das Leben, indem er aus dem Fenster sprang. Kurz davor schrieb er resigniert und verbittert an seinen Sohn: Du kannst dich bei den Deutschen totdokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein – und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen.
          Mittlerweile wird die Arbeit von Joseph Wulf gewürdigt, und er geehrt. ... Also Einsicht? ... Oder ist es schlicht opportun geworden Wulf zu ehren? Das wäre die schlimmste Form der "Anerkennung". Wulf hat die Ehrungen mehr als verdient. Die beste aber wäre, auf diejenigen achtzugeben, die im Jetzt leben und deren Mahnungen ebenso unbequem sind, wie es die von Wulf waren ...
    → auch Stig Dagerman / Erwin Dold / Diet Eman & Hein Sietsma / Gert Fröbe / Kurt Gerstein / Karl Jaspers / Fred K. Prieberg

     

     

To be continued ...

 

 

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