Ralf Jarchow

Info

Programme

Repertoire

Veröffentlichungen

Vorträge & Fortbildungen

Datenschutz

Impressum

With a little help ...

Verlag & Label

 

 

With a little help ... Stardust

Hören wir in einer lauten Welt auf die leisen und unverlorenen Menschen, die uns mit ihrer Kunst, ihren Worten, Taten, Gesten oder Zeichen die Sicht auf Gründe und Abgründe schenken, dann hören wir den Staub der Sterne ...

 

 

 

  • Zizi Possi

    Den Thron für die größte Sängerin Brasiliens hatte ich bereits an Elis Regina vergeben. Aber stellen wir noch einen dazu ...

          Ein Freund brachte das noch warme Album O grande circo místico (1983) aus Brasilien mit. Chico Buarque (Text) und Edu Lobo (Musik) hatten alle Lieder geschrieben, und herausgekommen ist ein fantastisches Album, dessen Titel jeweils von verschiedenen, bekannten Künstler/innen gesungen wurden. Ein Song zauberhafter als der andere, und besonders die Stimme von Zizi Possi. Jedoch verlor ich sie irgendwie aus den Ohren und es sollten rund 30 Jahre vergehen, bis sie mich erneut hypnotisierte, oder besser "sirenisierte", und ich mich dieses Mal mit ihr eingehender beschäftigten musste: Zu schön ihr Timbre, zu natürlich und farbenreich ihre Artikulation und Phrasierung, und ihre Stimmtechnik, mit der sie sich eine völlig unaufdringliche Perfektion leisten kann und wie eine einfache Stimme aus dem Volk klingt, nur eben wunderschön. Jedoch brauchte sie eine gewisse Zeit – wenn man von ihrer Zusammenarbeit mit Chico und Edu absieht –, ehe sie sich von kommerziellen Verirrungen und Vorgaben der Industrie lösen konnte. Ein Befreiungsschlag, den man übermächtig auf ihren Platten der 1990er Jahre hört ...

    • Sobre Todas as Coisas (1991)
      ... ist eine Explosion von mitreißenden, kammermusikalischen Arrangements und ausgefallenen Instrumentierungen, wofür Zizi ihren Musikern etwas von ihren verdienten Lorbeeren abgeben muss: Marcos Suzano (Percussion), Lui Coimbra (Cello, Gitarre, Charango), Jether Garotti, Alex Meirelles und Pier Francesco Maestrini (Piano, Synthesizer). Besonders Jether hat seine Handschrift hinterlassen, die man auch auf den hier folgenden Alben heraushört, und er damit eine ähnlich wichtige und prägende Rolle für Zizi spielt, wie César Camargo Mariano für seine Frau Elis Regina 20 Jahre zuvor.
            Einzelne Stücke herauszugreifen, ist bei dieser qualitativen Dichte kaum möglich. Aber dennoch stechen einige Stücke hervor: Besonders das 1. Stück – einem Medley aus Citações, Onde está Você und Noel Rosas Klassiker Com que Roupa – wirkt wie ein Weckruf in eine völlig andere künstlerische Dekade, die alle Leinen zur Vergangenheit kappt. Klavier, Cello und Percussion ergänzen sich zu einem Orchester, in dem man das fehlende Schlagzeug und den Bass nicht vermisst. Erst viel später wird einem nach ungläubigem Staunen der Grund für die Leichtigtkeit und doch Tiefe bewusst, wie überkommen schwer und oberflächlich Standardbesetzungen sein können. Und so geht's weiter ...
            Das Leben wie eine Katze meistern, die aus jeder Höhe immer wieder auf die Füße fällt: Bei dem swingenden Gato Gaiato übernimmt das Klavier den walking bass und das steinzeitlich anmutende Berimbau wirft gitarrenähnliche Pattern ein, bis schließlich das Pandeiro den Schlagzeugpart übernimmt. Jazz-Trio mal anders. Hierüber singt Zizi launisch wie eine Katze, farbig, cool, einfach unglaublich jazzig, wie man es von einer Nichtjazzerin nicht glauben mag. Vielleicht die umwerfendste Leistung in ihrem Schaffen, auf jeden Fall aber die unerwartetste.
            Ein weiteres Medley aus Alvorada und Eu te Amo wird zunächst begleitet mit einer Cuíca, die langsam zu einem Dialog mit Zizi übergeht. Der Text von Alvorada beschreibt dabei die Schönheit der Dämmerung auf einem Hügel, ein Moment ohne Tränen, ohne Traurigkeit, und die Natur lacht, wie auch die Farben ... und die Cuíca bejaht sehnsüchtig seufzend, gar weinend diese Schönheit, während Jether schon die Akkorde von Eu te Amo anstimmt. Zizis Version dieses Liebes-Walzers von Jobim und Chico Buarque ist von allen mir bekannten die, die am tiefsten trifft, wie auch Jethers Arrangement. Und die Idee mit der Cuíca zeigt, wie man aus einem Medley von 2 Stücken, ein Stück macht. Kurz: Dieses Album ist Zizis Meisterwerk, wenngleich dicht gefolgt von Valsa Brasileira ...

    • Valsa Brasileira (1993)
      Auch diese Platte hat wieder einige Medleys: So fängt das 1. mit Gilberto Gils Meditação an und geht in Jobims Walzer Modinha über, der in Zizis Version, zusammen mit der von Elis Regina mit Abstand die berührendste ist. Und so endet auch die Platte: Wieder mit Meditação, das zuvor aber von Renascer eingeleitet wurde, besser bekannt als Der Schwan aus Der Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns. Das Arrangement von Jether ist so subtil zart und so völlig anders, dass man zuerst an einen weiteren Walzer von Jobim denken mag. Aber letztlich zeigt sich doch nur, dass große Komponisten, egal ob klassisch oder brasilianisch, gar nicht so weit voneinander entfernt sind, wenn man ihre Melodien in andere Kleider steckt.
            Die folgenden 4 Stücke Lamentos, Uirapuru, Escurinha und Escurinho / O Samba e o pandeiro sind sehr traditionell gehalten und einfach nur bezaubernd. Jether wechselt hier zur Klarinette und begleitet mit Benjamim Taubkin (Piano) und Luis Guello (Percussion) eine Zizi, die sich hier ganz folkloristisch geben kann und in die musikalischen Ursprünge Brasiliens entführt. Am beeindruckendsten ist eindeutig der Klassiker Escurinha, in dem Zizi die portugiesische Sprache geschickt nutzt und die Konsonanten rhythmisch scharf akzentuiert, dem Beatboxing ähnlich, nur wesentlich feiner und durch langgezogene Vokale auch melodisch. Erstaunlich, dass bisher kein anderer Sänger bei Escurinha diese Alliteration entdeckt hat. Ein völlig neues Erlebnis ...
            Gonzaguinhas wunderbares Viver, Amar, Valeu höre ich hier zum 1. Mal. Jether hat ein mitreißendes Arrangement gezaubert, das nach einer Intro zunächst im Tango-Rhythmus beginnt und dann in einen Bossa übergeht. Es wirkt wie ein Kontrapunkt für Zizis zurückhaltenen Gesang, und man fragt sich, wer hier wen begleitet. Ist das jedoch noch wichtig, wenn es sich anfühlt, als ob es nur diese Version geben kann?
            Noch zurückhaltender, ja resigniert und hoffnungslos singt Zizi Quem é Você. Man wagt nicht nach dem Grund für diese Paralyse zu suchen, denn es könnte ein Abgrund sein, der irgendwo zwischen den poetischen Worten von Luiz Avellar zu finden ist ... Diese sehr schöne Ballade, im Englischen Close to home, stammt übrigens von dem Keyboarder Lyle Mays, der es zuvor mit Pat Metheny gespielt hat.
            Einer der größten Walzer der brasilianischen Musik: Valsa Brasileira, von Edu (Musik) und Chico (Text), mit einem einfühlsamen Arrangement von Jether, über das sich Zizi alle Zeit der Welt nehmen kann, nur um mich zum Weinen zu bringen ...

    • Mais Simples (1996)
      Auch aus der Melodia sentimental von Heitor Villa-Lobos wird, ähnlich wie oben (1993) bei Saint-Saëns, ein sehr eigenes Stück. Es klingt als ob Villa-Lobos es nicht in den 1950er Jahren komponiert hätte, sondern jetzt, für Zizi. Und sie singt es, als ob sie es nur für ihn singen würde. Was wäre das für eine wunderbare Zusammenarbeit geworden ... Aber vergessen wir mal diese transzendente, wenn auch faszinierende Träumerei: Zizi hat schließlich großartige Musiker an ihrer Seite!
            Olho de peixe ist ein weiteres Stück mit ausgefallener Instrumentierung: Ein unglaubliches Charango! Gespielt von Lui Coimbra, der hier wieder mit Jether, Marcos Suzano und Luis Guello zusammenspielt. Dieses "Anden-Instrument" hat in der brasilianischen Musik eigentlich nichts zu suchen. Nach dieser Aufnahme fragt man sich nur warum, denn es klingt noch viel feiner und transparenter als das für sonst ähnliche Parts eingesetzte "brasilianische" Cavaquinho. Eine echte Bereicherung!
            Apropos ausgefallen: Só pra chatear für Cuíca-Quartett und Solo-Gesang! Dieses so reizvolle Unikum prägt sich besonders durch das Hunde-Quartett ein, das sich mir synästhetisch aufdrängt. Beginnend mit einem Tenor-Terrier und 2 Sopran-Dackeln, kommt schließlich ein Bass-Bernhardiner vorbei, der auch noch seinen Senf dazu gibt. Ich sehe dabei einen Zeichentrickfilm, wie Zizi von diesen jungen Hunden umgeben ist, die sie und ihren Gesang anhimmeln, aber auch auf eine steile Karriere hoffen und lechzend zu ihr emporschauen. Immerhin haben sie diese Synkopen lange geübt, die besonders eindrucksvoll und etwas unfreiwillig bei Minute 0.50 zu hören sind: Da bekommt der eine Dackel Schluckauf auf "eins und", der durch ein beherztes Pfote-auf-die-Schulter-klopfen des Bernhardiners den dafür verantwortlichen Knochen schließlich mit der letzten Note ausspuckt.
      ... Sorry, aber so ich sehe das ...

    • Puro Prazer (1999)
      Das ganze Album ist wie ein Liederabend: Zizi, begleitet von Jether auf dem Klavier, mit Liedern aus Chile, Italien und Neapel, der Música Popular Brasileira und der "klassischen" Zeit davor ...
            ... und der Rock-Nummer Meu Erro von Herbert Vianna, die ich in seiner Fassung kaum wahrnehme. Zizis Version jedoch erschlägt mich, als Ballade, in völlig anderem Gewand, eine Metamorphose, nach der die ursprüngliche Gestalt nicht mehr existieren will ...
            Violeta Parras Volver a los Diecisiete ist eines ihrer umwerfendsten Lieder! Zizis subtiler Gesang und Jethers gefühlvolle Begleitung machen aus einem großen chilenischen Folksong ein Kunstlied, das dennoch die Erde nicht verliert, das Odeur der Heimat versprüht, und die rauhe Schönheit des Landes spiegelt, aber nicht verklärt. Welch' bessere Hommage an diese große Sängerin und Komponistin kann man sich vorstellen?
            Und was für mich mit dem Album O grande circo místico begann, schließt sich im Kreis mit Beatriz von Edu und Chico, das damals so großartig von Milton Nascimento 1983 eingesungen wurde. Es ist eines der am schwersten zu singenden Lieder der MPB: Der Ambitus geht an die Grenzen und die melodischen Wendungen erfordern harte Übung, um sie auch nur halbwegs sicher singen zu können. Darüberhinaus geht Edu hier mit chromatischen Wendungen an die tonalen Grenzen und man spürt, dass er sie sprengen will, ohne sie aber übertreten zu wollen. Für Zizi ist es jedoch kein Problem, und ihre klassische Ausbildung macht ihren Gesang überlegen, wie auch bei etlichen anderen Liedern. Einer der schönsten Walzer Brasiliens, verdient eine der besten Sängerinnen ...

    Diese 4 Alben sind jedenfalls meine Antwort auf die berühmte Frage, was ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde ...

     

    © 2017 by Ralf Jarchow